Dieser Beitrag entstammt der Broschüre „Entdemokratisierung und Krieg – Kriegerische Demokratie”, die als Dokumentation des 15. Kongress der Informationsstelle Militarisierung (IMI) unter dem gleichnamigen Titel entstanden ist. Für weitere Informationen zur Broschüre, bitte hier klicken.
Die ersten offiziellen Verhandlungen um die Unabhängigkeit Algeriens zwischen Frankreich und der algerischen Befreiungsfront FLN in Lugrin scheiterten 1961 an der Sahara-Frage: Da Frankreich Algerien als Teil seines Territorium betrachtete, hatte es Ende der 50er Jahre, noch bevor die afrikanischen Staaten unabhängig wurden, die Sahara zu Algerien geschlagen. Die FLN bestand auf der „Integrität des algerischen Territoriums“, während Frankreich eine gemeinsame „Organisation der Saharischen Ressourcen“ (OCRS) schaffen wollte, in der – unter französischer Führung – die Ausbeutung der saharischen Reichtümer organisiert werden sollte. Erst ein Jahr später, in den Verhandlungen von Evian, konnten die Algerier ihren Anspruch auf das riesige Gebiet durchsetzen. Die ehemaligen Kolonien des „Französischen Westafrika“ (AOF) hatten 1960 ihre Unabhängigkeit unter nahezu totaler Kontrolle Frankreichs erhalten: Mit mehreren ehemaligen Kolonien schloss Frankreich Militärabkommen, die weiterhin die Stationierung französischer Truppen erlaubten und die immer wieder genutzt wurden, um gefällige Regierungen gegen Aufstände im Lande zu stützen.[1] Die Grundlage für das auf Korruption, Einflussnahme bis hin zum Mord basierende System der Françafrique war geschaffen. Obwohl François Hollande zu Beginn seiner Regierungszeit erklärt hatte, dieses System abschaffen zu wollen, zeigt die Intervention in Mali das genaue Gegenteil: Wenn es um französische Interessen geht, bleibt es Fundament der Pariser Afrikapolitik.
Der „islamistische Terrorismus“ in Algerien und seine Weiterungen.
1992 fanden in Algerien die ersten wirklich freien Parlamentswahlen statt. Als klar wurde, dass die islamistische „Islamische Heilsfront“ (FIS) haushoch siegen würde, putschte das Militär, eine fürchterliche Repressionswelle gegen die Anhänger der FIS begann, Teile der Bewegung gingen als „Armee des Islamischen Heils“ (AIS) zum bewaffneten Widerstand über. 1993 traten erstmals die so genannten Bewaffneten Islamischen Gruppen (Groupes Islamiques Armés, GIA) in Erscheinung.[2] Diese Gruppen bekämpften einerseits die AIS, andererseits massakrierten sie in bestialischer Weise die Bevölkerung ganzer Stadtviertel und Dörfer. Wie aber – um nur das Beispiel Bentalha (September 1997) zu nennen – war es möglich, dass solche bewaffnete Gruppen sechs bis sieben Stunden lang ein Wohnviertel der Außenbezirke von Algier terrorisieren und mehrere hundert Menschen abschlachten konnten, ohne dass die Ordnungskräfte eingriffen, obwohl ein Polizeiposten und sogar eine Kaserne nur wenige hundert Meter entfernt waren? Wie konnten die Mörderbanden auf mehreren Lastkraftwagen anfahren und auf diesen wieder verschwinden, obwohl das Militär rund um die Stadt Straßensperren errichtet hatte?[3] Die These ist durchaus berechtigt, das Vorgehen der algerischen Sicherheitskräfte als eine counter-insurgency-Strategie zu verstehen, die von Frankreich im Algerien-Krieg entwickelt worden war und dann Eingang in entsprechende Lehrgänge der US-Militärakademien fand.[4]
Auch stellt sich die Frage, wie es möglich war, dass die Terroristen, die offensichtlich immer und überall zuschlagen konnten, wo sie dies nur wollten, über zwei Jahrzehnte an keiner Stelle die tausende von Kilometern Erdgas- und Erdölpipelines angegriffen haben,[5] die die finanzielle Nabelschnur des Regimes darstellten? Schließlich: Warum sollten die islamistischen Kommandos gerade die Teile der Bevölkerung massakrieren, die in den Vororten der Großstädte bei den Kommunalwahlen der Jahre 1990 und 1991 mit 80% und mehr für die Islamisten gestimmt hatten? Völlig untypisch für terroristische Bewegungen ist, dass die GIA nirgendwo ein politisches Programm veröffentlicht haben. Wieso wurde nie eines ihrer Mitglieder gefangen genommen, sodass seine Aussagen der Öffentlichkeit hätten präsentiert werden können?[6]
Im September 1997 erklärte die Führung des bewaffneten Arms der Islamischen Heilsfront (Armée Islamique du Salut, AIS) einen einseitigen Waffenstillstand, der mit dem nahezu allmächtigen algerischen Geheimdienst DRS (Département du Renseignement et de la Sécurité) ausgehandelt worden war. Ab diesem Zeitpunkt ließen auch die Operationen der GIA nach. Im gleichen Zeitraum, genauer 1998, trat erstmalig eine von den GIA abgespaltete Splittergruppe namens GSPC (Groupe Islamique pour la Prédication et le Combat) in der Kabylei, einem Gebirge rund 150 km östlich von Algier, in Erscheinung. Nach offizieller Darstellung der algerischen Behörden war ein Teil der GSPC in den Süden Algeriens ausgewichen, wo sie erstmals im Jahre 2003 durch die Entführung von 32 deutschen, österreichischen und Schweizer Touristen weltweite Beachtung erreichten. Problemlos konnten die Entführer mit ihren Geiseln tausende von Kilometern im Grenzgebiet Algerien – Mali – Niger zurücklegen, ohne gefasst zu werden. Jeremy Keenan, einer der besten Kenner der Sahara und des Sahel, hebt die extrem widersprüchlichen und unhaltbaren Informationen hervor, die seitens der algerischen Behörden zu dieser Affäre verlautbart wurden.[7]
Keenans wichtigste Argumente lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:
– Die Informationen aus Algier bezüglich der Urheber, Ziele und Aktionen der Entführer blieben über Monate hinweg widersprüchlich.
– Algier verhinderte deutsche Versuche, mittels der GSG 9 oder der KSK, wie auch des Einsatzes von Agenten des BND, das Geiseldrama zu lösen. Vor allem wurde der Einsatz deutscher Aufklärungsdrohnen verhindert – von der leichten Beobachtung der Gruppen aus der Luft mit den von den USA gelieferten Nachtsichtgeräten in teilweise flachem Terrain ganz abgesehen.
– Die algerische Armee leistete massive logistische Unterstützung, da die Entführer ohne Treibstoff, der in dieser Region der ausschließlichen Kontrolle des Militärs unterliegt, niemals die weiten Strecken bis Mali, Niger und zurück hätten bewältigen können.
– Bei der „Befreiung“ verschwanden bis auf zwei oder drei alle Geiselnehmer unverletzt.
– Die Führungsfigur Amari Saifi, genannt Abderrazak „El Para“, weil er in der algerischen Armee als Fallschirmjäger gedient hatte, ist mehr als undurchsichtig: Nicht nur wurde er bei der „Befreiung“ der Geiseln nicht gefasst, er wurde auch während der sieben Monate, die er von einer Widerstandsgruppe der Tuareg im nördlichen Mali festgehalten wurde, nicht nach Algerien ausgeliefert, obwohl die tschadischen Rebellen dies mehrfach anboten und zu diesem Zwecke eigens eine Delegation nach Algier schickten.[8] Problem- und folgenlos konnte er während seiner Gefangenschaft der Zeitschrift Paris-Match ein Photo-Interview geben. Schließlich wurde er von den Tuareg-Rebellen an Libyen überstellt und von dort im Oktober 2004 an die algerischen Behörden ausgeliefert. In Algerien wurde er dann – in Abwesenheit! – zu einer lebenslänglichen Gefängnisstrafe verurteilt. Sein Verbleib ist bis heute rätselhaft.[9]
– Die Nachfolge „El Paras“, so die algerische Darstellung, hat inzwischen Mokhtar Belmokhtar angetreten, der gleichfalls in die Entführung der Touristen verwickelt gewesen sein soll. Belmokhtar ist ein Bandit, der große Teile der Schmuggelrouten in der Sahara kontrolliert, wo insbesondere Drogen, Waffen und Menschen gehandelt werden. Seine Beförderung zum religiösen Eiferer setzt schlicht auf die Naivität der Nachrichten-Konsumenten – oder auf die Bilder jener, die im „Krieg gegen den Terror“ Bedrohungsszenarien ausmalen.
Die ganze Affäre deutet darauf hin, dass der berüchtigte „El Para“ ebenso wie sein „Nachfolger“ Mokhtar Belmokhtar[10] Agenten des algerischen Sicherheitsdienstes sind, und dass, wie Keenan schreibt,[11] die behaupteten Verbindungen zu al-Qa’eda reines Konstrukt der algerischen Dienste sind. Diese Frage bliebe unerheblich, wenn diese Affäre nicht – erfolgreich – dazu gedient hätte, „Beweise“ für die Etablierung der GSPC, der späteren al-Qa’eda im Islamischen Maghreg (AQIM), zu erbringen. Eine Behauptung, die seither in den westlichen Sicherheitskreisen wie auf deren Websites gebetsmühlenhaft wiederholt wird.
Algerien nutze seinen eigenen „Krieg gegen den Terror“ geschickt, um sich in die US-Strategie des „Global War on Terror“ einzugliedern und sich als verlässliche Partner der USA zu präsentieren. Diese Strategie entsprach auch den algerischen Wirtschaftsinteressen und der engen Kooperation der algerischen Erdölgesellschaft Sonatrach, des elftgrößten Öl- und Gaskonzerns der Welt, mit den führenden US-Firmen. Sonatrach erwirtschaftet 98% der algerischen Staatseinkünfte. Für die gemeinsame Terrorbekämpfung aber brauchte man Terroristen in der ganzen Region. Der Anti-Terror-Kampf legte den Grundstein für eine enge militärische und sicherheitspolitische Kooperation Algiers mit Washington..[12]
Krieg in Libyen, Banditen und Terroristen im Sahel.
Der Zerfall von Mali ist eine der Konsequenzen des vor allem von Frankreich betriebenen Krieges in Libyen. Die Afrika-Politik Kaddhafis gefährdete das System Françafrique. Seine Unterstützung für unterschiedliche Tuareg-Gruppen verfolgte das Ziel, in all jenen Staaten eine Mitsprache zu erreichen, in denen (wie auch in Libyen) neben Arabern berberische Tuareg (si. Targi) leben: Algerien, Niger, Tschad und Burkina Faso. Diese Gruppen – z. T. militärisch gut ausgebildet – wandten sich nach der Zerstörung der Staatlichkeit Libyens unter Mitnahme hochmoderner Waffen ihren Heimatregionen zu.
Der Sahel und die Sahara sind längst zu einem für Banditen und Kriminelle lukrativen Raum geworden: Durch die Wüste führt die wichtigste Straße des Handels mit kolumbianischem Kokain in Richtung Europa. Die zweite Einkommensquelle ist das Abpressen von Schutzgeldern von den tausenden afrikanischen Migranten, die versuchen, durch die Wüste ans Mittelmeer zu gelangen. Die dritte sind Lösegelder für entführte Touristen, Diplomaten, Techniker, aber auch Geheimdienstagenten: Allein die ominöse Al Qa’eda im Islamischen Maghreb (AQIM) soll derzeit über 60 Geiseln in ihrer Hand haben. Die Sahelstaaten Tschad, Niger, Mali, Mauretanien, Burkina Faso gehören zu den ärmsten Ländern der Welt. Seit über zehn Jahren bleiben die regelmäßigen Regenfälle aus – mit katastrophalen Folgen für die Nomaden, also gerade auch für viele Tuareg, deren Herden weitestgehend vernichtet sind.
Das „Terrorismusproblem“ aber wurde seit 2003 politisch wie medial genutzt. Seit 2004 finden jährlich im ganzen Sahelraum unter dem Namen „Flintlock“ umfangreiche Manöver mit den Armeen nahezu aller Sahel-Staaten unter Führung von US-Truppen statt. Unmittelbar nach der Touristen-Entführung explodierte geradezu die (militär-)wissenschaftliche Literatur zum Thema, die gebetsmühlenhaft wiederholt, dass sich in der Sahara ein gefährlicher Terroristenherd entwickelt, ja dass dort mit höchster Wahrscheinlichkeit in Verbindung mit al-Qa’eda die Anschläge in Madrid vom 11. März 2004 geplant und vorbereitet worden seien.[13] Ferner wird behauptet, dass al-Qa’eda aus Verstecken in der Sahara Terroristen in den Irak schickt.
Am 27. Januar 2007 benannte sich die bisher als GSPC firmierende Bande um in AQIM – ein international Furcht einflößendes Etikett. Die lange durch Manöver und Militärhilfe vorbereitete Antwort der USA kam postwendend: Am 7. Februar 2007 richteten sie ihr African Command (Africom) ein, dessen Ziel die Bekämpfung des Terrorismus in Afrika sein sollte. GSPC/AQIM hatten also die Rechtfertigung für die geo-strategische Expansion der USA auf den afrikanischen Kontinent geliefert. Als wahrscheinlich wichtigste und meistgenannte Bande spielt sie heute im Konflikt in Mali eine herausragende Rolle.
Die zweite im Sahel aktive Gruppe ist Mujao (Bewegung für die Einheit und den Djihad in Westafrika). Sie wird geführt von dem Ex-AQIM-Kämpfer Mokhtar Belmokhtar,[14] der auch den Angriff auf das algerische Gasfeld bei Ain Amenas am 16. Januar 2013 kommandiert haben soll. Es darf vermutet werden, dass die Abspaltung, so sie real ist, vorwiegend aus dem Streit um die Kontrolle der Pfründe resultiert, möglicherweise aber auch eine Art Arbeitsteilung zwischen den beiden Gruppen darstellt. Mujao scheint brutaler vorzugehen als AQIM. Sie ist hauptverantwortlich für die unter Berufung auf die shari’a begangenen barbarischen Verbrechen in der nordmalischen Stadt Gao.
Schließlich ist da noch Ansar ed-Din (Unterstützer des Glaubens), eine vorwiegend aus Tuareg bestehende Truppe, die zuvor im Dienste Kaddhafis stand. Ihr Führer ist der Targi Iyad Ag Ghaly. Ansar-ed-Din hatte sich in Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso, an von Algerien initiierten Verhandlungen über eine politische Lösung des Konflikts beteiligt. Die Informationen darüber, welche vor allem militärische Rolle sie spielt, sind dürftig und widersprüchlich wie auch ihr bisheriges Verhalten in der Krise.
Als säkulare Gruppe agiert in Mali die MNLA, Bewegung für die Befreiung von Azawad, wie das Tuareg-Gebiet in der Targi-Sprache heißt. Für eine kurze Zeit kämpften MNLA und Ansar ed-Din gemeinsam. Die MLNA besteht nur aus einer kleinen Gruppe von Angehörigen eines Tuareg-Stammes. Sie wurde von französischen Diensten aufgebaut und genießt seit Beginn des Jahres 2011 die uneingeschränkte Unterstützung Frankreichs, wurden ihre Vertreter doch hochoffiziell im französischen Außenministerium empfangen.[15] Erscheint hier Frankreich plötzlich als anti-imperialistische Kraft? Das Gegenteil ist der Fall: Frankreich hoffte, die seine Interessen im Sahel, vor allem aber in Nigeria potenziell bedrohenden Banden von AQIM und Mujao mit Hilfe der Tuareg als Subunternehmer bekämpfen zu können. Dabei hat die MNLA offensichtlich versagt. Zutreffend vergleicht Diop die Politik Frankreichs mit dem Handeln eines pyromanischen Feuerwehrmannes.[16] Sicher scheint, dass die Aufgabe der MLNA auch Ansar ed-Din zugedacht war, mit der sie zunächst verbündet war. Der Name der MNLA steht gerade nicht für ihr Programm: Ihr Führer erklärte jüngst, sie kämpfe nicht für die Unabhängigkeit eines Tuareg-Gebiets, sondern habe immer gegen den Terrorismus gekämpft.[17] Inzwischen hat die Bewegung kaum mehr militärischen Einfluss und genießt bei der Tuareg-Bevölkerung keinen nennenswerten Rückhalt. Hieraus lässt sich der Schluss ziehen, dass gerade die als nationalistisch auftretende Gruppe vom französischen Geheimdienst instrumentalisiert wird, um einen die Länder des Sahel übergreifenden Aufstand der Tuareg zu verhindern.
Warum also zieht Frankreich, das gerade seine Truppen aus Afghanistan abgezogen hat, in Mali nun genau jene Begründung heran, es müsse dem islamistischen Terror gegen die Bevölkerung ein Ende setzen?[18] Gelänge es den Banden, die wohl auch den Vormarsch auf die Hauptstadt Bamako planten, in Mali Fuß zu fassen, könnten sie tatsächlich die Kontrolle über die gigantischen Energie-Ressourcen der ganzen Region erlangen – und sie wären ein schwieriger und schwer kalkulierbarer, in sich heterogener und instabiler Verhandlungspartner. Denn in der Tat spielt die Frage der Ressourcen die entscheidende Rolle: In jüngster Zeit wurden im Raum von Mauretanien bis Niger große neue Öl- und Gasfelder entdeckt, an deren Ausbeutung vor allem die französische Total, die italienische ENI und die algerische SONATRACH beteiligt sind.[19]
In Mali selbst gibt es Gold, Diamanten und Phosphat. Letzteres wird immer wichtiger für die weltweite Düngemittel-Produktion. Und es gibt Hinweise auf erhebliche Öl- und Gasreserven sowie auf Vorkommen von Uran in der Region um Kidal und Gao.[20] Damit schließt sich der Kreis: Wie in Mali, so gibt es in Niger ein Tuareg-Problem – und im ganzen Raum agieren AQIM & Co. Niger aber ist der drittgrößte Uranproduzent der Welt, Frankreichs über 80 Atomkraftwerke beziehen 70% ihres Brennstoffs aus Niger. Ausgebeutet wird das Uran unter unsäglichen Bedingungen für Mensch und Umwelt von der halbstaatlichen französischen Firma Areva, die sich auf ihrer Homepage den größten Atomanlagenbauer der Welt nennt. Durch Niger wird die riesige fast 4.000 km lange Gas-Pipeline gebaut, die, finanziert von SONATRACH und Gazprom, von Nigeria zur algerischen Mittelmeerküste geführt wird. Der Sahel, und in seinem Zentrum Mali, ist daher von herausragender geo-strategischer Bedeutung, zumal inzwischen auch China begonnen hat, in Niger Uran abzubauen: Die derzeitigen Geostrategien richten sich nicht nur auf die Kontrolle der Fördergebiete, sondern noch mehr auf die Transportwege dieser Rohstoffe.
Gründe und Perspektiven
Erstaunlich ist, dass in diesem Konflikt die USA bisher so gut wie nicht in Erscheinung treten: Mit dem im Februar 2007 ins Leben gerufenen African Command, kurz: AfriCom, verfügen sie über ein gewaltiges, offiziell eigens für die Terrorismus-Bekämpfung in Afrika geschaffenes Instrument. Im selben Jahre 2007 erklärten sie, ihre Ölzufuhr aus Afrika von damals 13% bis zum Jahre 2015 auf 25% ihrer Gesamtimporte steigern zu wollen.[21] Scheuen sie die Risiken eines zweiten Afghanistan in den endlosen Weiten der Wüste? Lassen sie Frankreich in einen unlösbaren Konflikt laufen? Oder ziehen sie auch die Konsequenzen aus den Fehlinvestitionen von Africom, das in Mali vier Anti-Terror-Einheiten ausgebildet hat, von denen drei zu den Rebellen übergelaufen sind, während die übrigen Reste der malischen Armee sich selbst bekriegen? Allein dies zeigt, in welch sumpfigem Gelände die französische Militärintervention agiert.[22]
Im Interessengeflecht um die Ressourcenkontrolle erscheinen jenseits des vom Westen ob seiner erfolgreichen Politik in Afrika misstrauisch beobachteten und um Diskretion bemühten China neue Akteure: Seit der Arabellion treten die Staaten des Golf-Kooperationsrats unter Führung von Saudi-Arabien und Qatar massiv in die Weltpolitik ein: Sie waren es, die jene Entschließung in den Sicherheitsrat einbrachten, die dann die Resolution 1973 und die Verhängung der „Flugverbotszone“ in Libyen zur Folge hatte. Sie sind es, die in Ägypten und Tunesien für die Verbreitung des Wahabismus und die Unterstützung salafistischer Gruppen sorgen und die djihadistische Nusra-Front in Syrien unterstützen. Qatar, der neue militärische Partner Frankreichs am Golf, zugleich verflochten mit französischen Investitionen auch in Afrika,[23] lässt auf der anderen Seite der militantesten Gruppe Mujao (mindestens) finanzielle Unterstützung zukommen.[24] So versuchen die arabischen Despotien, sich als zentrale Macht in der aufscheinenden multipolaren Welt zu positionieren. Dabei geht es ihnen zum einen darum, die energetischen Ressourcen zumindest der sunnitischen islamischen Länder zu kontrollieren und zum anderen dafür zu sorgen, dass der fanatische Islam der Arabischen Halbinsel auf den Rest der islamischen Welt ausgedehnt wird – als politische Stütze des neuen Führungsanspruchs und der eigenen archaischen Ordnung zugleich. So wird die gezielte Unterstützung von „Terroristen“ zum Angelpunkt geostrategischer Planspiele – genauso wie deren mit medialem Spektakel betriebene Bekämpfung.
Doch es scheint, als wäre Frankreich zu kurz gesprungen: Offiziell wird erklärt, die ehemalige (und noch immer heimliche) Kolonialmacht wolle sich binnen drei bis vier Wochen zurückziehen. Dies dürfte dem Wissen geschuldet sein, dass der Krieg schon aus finanziellen Gründen nicht lange durchzuhalten ist: Nach offiziellen Angaben kostet er täglich 3 Mio. €.[25] Realistisch ist dagegen die Einschätzung des deutschen Verteidigungsministers de Maizière, der erklärte, der Einsatz in Mali könne noch Jahre dauern – ein zweites Afghanistan also, nur mit einer räumlich vielfachen Dimension? Als sicher kann gelten, dass die Banditen sich im unwegsamen (und die Grenzen Algeriens, Malis, Nigers und Libyens überschreitenden) Hoggar-Gebirge jahrelang halten können, dass ihre Schmuggel-, Menschenhandels- und Entführungsoperationen nur unwesentlich unterbunden werden können. Die nun in Gang gesetzten Truppen der ECOWAS, stammen (außer aus Nigeria) fast ausschließlich aus Soldaten der ehemaligen französischen Kolonien, sie gelten als wenig zuverlässig und schlecht ausgebildet, dürften also militärisch noch lange keine entscheidende Rolle spielen. Ein wenig besser sieht das Kontingent der ehemaligen französischen Kolonie Tschad aus, das über Kampferfahrung verfügt, aber mit wenigen hundert Mann nicht in der Lage ist, militärische Ziele zu erreichen oder gar zu sichern. Auch hat das tschadische Kontingent bereits erhebliche Verluste zu verzeichnen – im Gegensatz zu dem von Frankreich eingesetzten 1. Fallschirmjäger-Regiment der Fremdenlegion. Wie sich die Rolle des Kanonenfutters auf die Moral der Tschader auswirkt, bleibt abzuwarten. Hinzu kommen die ethnischen Probleme: Bereits jetzt hat es gewalttätige Übergriffe der (vor allem malischen) Soldaten gegenüber der malischen Zivilbevölkerung entlang ethnischer Grenzen gegeben[26] – ein Faktor, der die Gewaltförmigkeit und Unübersichtlichkeit des Konflikts noch erheblich steigern dürfte.
Frankreich versucht, die EU in diesen – seinen – Konflikt hineinzuziehen. Bisher sind die Reaktionen eher zögerlich. Die europäischen Kanzleien scheinen zu begreifen, dass angesichts der Größe des Raums und der Guerilla-Taktik der Banditen ein „Krieg“ nicht gewinnbar ist. Dies umso mehr, als die USA offensichtlich nicht bereit sind, ihre gewaltigen Mittel Frankreich und seinen Subunternehmern Tschad und ECOWAS zur Verfügung zu stellen. Ja, ungerührt und in völliger Unabhängigkeit von dem Konflikt in Mali hat Africom im Februar dieses Jahres ihr jährliches Manöver „Flintlock“ durchgeführt.[27]
Was bleibt, ist eine derzeit viel diskutierte Blauhelmtruppe aus hauptsächlich afrikanischen Einheiten. Auch hier erhebt sich die Frage nach der Motivation der entsendenden Staaten: Sind sie wirklich willens und in der Lage, über Jahre einen nicht gewinnbaren Krieg zu führen, oder geht es ihnen wie bei ähnlichen Missionen (vor allem MONUC im Kongo) eher darum, mit Geldern der UN ihre eigene Staatskasse aufzubessern?
Wie in vielen anderen Konflikten stellt sich auch in Mali die von dem französischen Friedensforscher Alain Joxe zu Recht aufgeworfene Frage, ob die heute Krieg-Führenden überhaupt Clausewitz gelesen haben:[28] Denn, wenn Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sei, müsse gefragt werden, ob denn solche Politik überhaupt ein Kriegsziel habe: Der in Afghanistan, Irak, Libyen praktizierte und derzeit in Syrien anvisierte regime change allein kann es mit Sicherheit nicht sein. Eine imperialistische „Befriedung“ Malis, selbst wenn sie gelänge, wird die Probleme der Sahel-Region nicht lösen – geschweige denn die Ursachen für Gewalt und organisierte Kriminalität beseitigen: Die Konfliktursachen bleiben, ja verschärfen sich, und das immer wieder beschworene „letzte Mittel“ der Politik erweist sich nicht nur als untauglich zur Problemlösung, es wirkt sich konfliktverschärfend aus, wenn es auch unmittelbar die Profitinteressen von Konzernen wie Areva oder Total zu sichern vermag.