Die Folgen rassistischer Gewalt einer militarisierten Polizei werden durch die #BlackLivesMatter-Proteste, ausgelöst durch den Mord eines Polizisten an George Floyd, in den USA sichtbar. Eine gute Analyse hierzu hat die IMI (Informationsstelle Militarisierung Tübingen) geschrieben, außerdem macht sie deutlich, dass dies kein rein US-amerikanisches Problem ist:

IMI-Analyse 2020/25

#BlackLivesMatter

Folgen rassistischer Gewalt einer militarisierten Polizei werden sichtbar
von: Martin Kirsch und Alexander Kleiß
Veröffentlicht am: 9. Juni 2020

In den vergangenen zwei Wochen ist die Auseinandersetzung mit rassistischer Polizeigewalt in bisher unbekannter Breite in den Fokus medialer Berichterstattung und gesellschaftlicher Debatten gerückt. Auslöser war der Mord an George Floyd, einem Schwarzen1 US-Bürger, der durch den Polizisten Derek Chauvin getötet wurde. Ein Video, das den qualvollen Erstickungstod dokumentiert, hatte sich rasend schnell verbreitet, woraufhin sich zunächst am Ort des Geschehens in Minneapolis, dann in zahlreichen anderen Städten in den USA und mittlerweile weltweit Proteste gegen rassistische Polizeigewalt entflammten. Bereits seit 2013 thematisiert die Black-Lives-Matter-Bewegung eine Vielzahl von Morden an Schwarzen durch Polizeikräfte und die darauf folgende Straflosigkeit.

7.666 Menschen wurden von 2014 bis 2019 von US-Polizist*innen getötet2 – überproportional viele von ihnen waren Schwarze und People of Colour. Angaben der Plattform Mapping Police Violence zufolge wurden in den USA in diesem Zeitraum lediglich etwas mehr als ein Prozent der Polizist*innen nach der Tötung einer Person vor Gericht angeklagt – und von diesen wurde wiederum nur ein Viertel verurteilt.3 Letztlich ist der institutionelle Rassismus ein jahrhundertealtes und tief in der Geschichte von Kolonialismus und Sklaverei verwurzeltes Problem. Wie bereits nach den Morden an Michael Brown 2014 kommt es auch im Rahmen der aktuellen Proteste zu Plünderungen und gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Während in der medialen Debatte häufig nach vermeintlich „extremistischen Elementen“ als Verantwortliche für die Gewaltausbrüche gesucht wird, häufen sich Stimmen, wie die des TV-Moderators und Comedians Trevor Noah.4 Noah sieht die Gewaltausbrüche und Plünderungen als eindeutige Konsequenz der angestauten Wut über unzählige Morde, systemischen Rassismus, alltägliche Polizeigewalt und nicht zuletzt auch Armut. Darüber hinaus stellt er die Frage, warum sich die Bevölkerungsgruppen, denen durch zahllose Morde durch Gesetzeshüter*innen und die darauf folgende Straflosigkeit vorgeführt wird, dass die Regeln der Gesellschaft und ihre Gesetze zu ihrem Schutz nicht gelten, sich selbst weiter an die Regeln und Gesetze dieser Gesellschaft halten sollten.

Konfrontiert werden die Proteste unabhängig davon, ob es sich um Plünderungen oder friedliche Kundgebungen und Demonstrationen handelt, vielerorts mit militarisierten und extrem gewaltbereiten Polizeikräften. Diese wurden von Beginn an mit voller Härte eingesetzt, um den aufflammenden Protest niederzuschlagen, wobei die Brutalität und das militärische Kalkül, mit dem die Polizei vorging, die Proteste weiter anfachten.

US-Armee liefert Waffen und Ausrüstung an Polizei

Die Militarisierung der Polizeikräfte in den USA wurde national wie international bereits 2014 zum Thema, nachdem am 9. August Michael Brown, ein 18 jähriger Schwarzer US-Bürger, in Ferguson Missouri von einem Polizisten erschossen wurde. Der Anwalt der Familie Brown bewertete die Ereignisse als „hinrichtungsartige Tötung“.5 In den Folgetagen kam es zu Demonstrationen und Unruhen in Ferguson und Umgebung. Konfrontiert wurden die Demonstrant*innen mit einem Großaufgebot der Polizei, Tränengas, Gummigeschossen und nächtlichen Ausgangssperren. Zur Durchsetzung der Ausgangssperren und der Zerschlagung der Proteste zielten paramilitärisch ausgerüstete Polizeikräfte mit Kriegswaffen auf Protestierende während Panzerfahrzeuge in den Straßen patrouillierten. In der folgenden Debatte wurden neben systemischem Rassismus und Polizeigewalt auch die Ausrüstung und das Vorgehen der Polizei nach militärischem Vorbild zum Thema.

Im Rahmen des „War on Drugs“ (Krieg gegen Drogen) in den 1980er Jahren begann das US-Militär ausgemustertes Gerät, Fahrzeuge, Waffen und Ausrüstung an Polizeibehörden weiterzugeben. Seit 1997 ermöglicht das unter US-Präsident Bill Clinton verabschiedete „Programm 1033“ die kostenlose Weitergabe von überschüssigem Material des Pentagon an Polizeibehörden.6 Einen Aufschwung erlebte das Programm nach der Ausrufung des „Kriegs gegen den Terror“ ab 2001 und erneut nach dem Abzug großer Truppenverbände der US-Armee aus dem Irak 2011.

Damit wurde in den letzten gut 20 Jahren durch die Armee für militärische Missionen in Übersee angeschafftes Material im Gegenwert von mindestens fünf Milliarden US-Dollar an Polizeibehörden weitergegeben. Mit diesen Waffen, Panzerfahrzeugen und Uniformen aus den Kriegen in Afghanistan und dem Irak in den Händen der Polizei breitet sich seit den 1980er Jahren auch eine Mentalität aus, die Polizeiarbeit zunehmend als Kriminalitätsbekämpfung im Sinne von militärischer Härte versteht.

Dieser Logik folgend haben auch kleinste lokale Polizeibehörden mit dem Material des US-Militärs paramilitärische Spezialeinheiten (SWAT) eingerichtet, die bis in die 1980er Jahre nur als Notfallstrukturen in Großstädten existierten. Sind sie erst einmal eingerichtet, werden SWAT-Einheiten oft für Razzien (no knock warrents) eingesetzt, bei denen, auch wegen dem Verdacht auf kleinere Vergehen, wie Drogenbesitz in geringem Umfang, Wohnhäuser nach militärischem Vorbild gestürmt werden.7

Bei Razzien dieser Art kommt es neben alltäglichen Gewaltexzessen immer wieder zu tödlichen Schüssen auf Bewohner*innen. Überproportional häufig wird dieses Vorgehen gegen die Schwarze Bevölkerung angewendet. Der letzte bekannte Fall in einer lagen Liste ist der Tod der Schwarzen Krankenschwester Breonna Taylor, die bei einer im Nachhinein als völlig grundlos zu bewertenden Razzia am 13. März 2020 in ihrer Wohnung von Beamten der Polizei Louisville erschossen wurde.8 Die Breite, Ausdauer und Heftigkeit der aktuellen Proteste nach dem Tod von George Floyd steht im direkten Zusammenhang mit dem Fall von Breonna Taylor, deren Tod in der Black-Lives-Matter-Bewegung und der Schwarzen Community in den USA, wie bereits so viele Morde zuvor, nicht vergessen wurde.

Hatte die Präsenz von militärischem Gerät in den Händen der Polizei 2014 in Ferguson noch zu einem öffentlichen Aufschrei in den USA geführt – selbst Präsident Obama fühlte sich genötigt kritisch Stellung zu beziehen – scheint sich dieses Bild mittlerweile bereits normalisiert zu haben. In dieser Gemengelage war Präsident Trump zwischenzeitig bereit einen Schritt weiter zu gehen und drohte mit dem Einsatz von regulären Truppen der Armee (actice duty forces) gegen die Protestierenden.

Keine rein US-amerikanischen Phänomene

Die Geschichte der USA – Sklaverei, das System der „Rassen“trennung und die breite Bewaffnung der Bevölkerung – macht eine einfache Gleichsetzung mit den Verhältnissen in Deutschland unmöglich. Ein Blick auf die hiesigen Verhältnisse lässt allerdings auch in der Bundesrepublik ähnliche Phänomene sichtbar werden. Systemischer Rassismus in der Gesamtgesellschaft, institutioneller Rassismus in Behörden und Gesetzestexten, rassistisches Handeln von Polizeibeamt*innen von Racial Profiling über Gewaltanwendung und Folter bis hin zu Todesfällen sind auch hier keine Seltenheit.

Zudem ist auch in Deutschland Polizeigewalt, fehlende Transparenz und eine klare Tendenz zur Straflosigkeit von Beamt*innen9 zu beobachten. Auch in Deutschland sterben jedes Jahr Menschen durch Schusswaffengebrauch oder sonstige Gewalteinwirkung von Polizeibeamt*innen. Überproportional häufig sind sie psychisch krank oder befinden sich in einer akuten psychischen Ausnahmesituation.10

Say Their Names

Auch in Deutschland sterben immer wieder Schwarze Menschen und People of Colour bei Einsätzen von Polizist*innen und Sicherheitsleuten, durch unterlassene Hilfeleistung von Amtsträger*innen oder unter ungeklärten Umständen in Polizei- und Gefängniszellen.

  • Halim Dener (1994/ Hannover/ von SEK in zivil beim Plakatieren in den Rücken geschossen)
  • Kola Bankole (1994/ Frankfurt am Main/ bei Abschiebeversuch nach Zwangseinflößung von Psychophamaka, gefesselt und geknebelt durch BGS-Beamte erstickt)
  • Dr. Zdravko Nikolov Dimitrov (1999/ Braunschweig/ nach angedrohtem Selbstmordversuch wegen drohender Abschiebung durch SEK erschossen)
  • Aamir Ageeb (1999/ Lufthansa-Flugs LH 588/ auf Abschiebeflug gefesselt durch BGS-Beamte erstickt)
  • N’deye Mareame Sarr (2000/ Aschaffenburg/ erschossen von Polizisten)
  • Achidi John (2001/ Hamburg/ Tod nach Brechmitteleinsatz)
  • Laye-Alama Condé (2005/ Bremen/ Tod nach Brechmitteleinsatz)
  • Oury Jalloh (2005/ Dessau/ in Polizeizelle verprügelt und verbrannt)
  • Dominique Kouamadio (2006/ Dortmund/ von Polizisten erschossen)
  • Mohammed Sillah (2007/ Remscheid/ Tod nach mehrfacher Verweigerung eines Krankenscheins/Krankenwagens durch Arzt, Ämter und Heimpersonal)
  • Slieman Hamade (2010/ Berlin/ Herzstillstand nachdem Polizist*innen, die auf ihm saßen, Pfefferspray in sein Gesicht sprühten)
  • Christy Schwundeck (2011/ Frankfurt Main/ nach Streit im Jobcenter von Polizisten erschossen)
  • Ousman Sey (2012/ Dortmund/ von Krankenwagen trotz Herzrasen und Krämpfen abgelehnt und im Polizeigewahrsam gestorben)
  • Yaya Jabbie (2016/ Hamburg/ U-Haft wegen geringer Menge Marihuana, angeblicher Selbstmord ohne erkennbare Vorzeichen in JVA)
  • Hussam Fadl (2016/ Berlin/ von Polizisten nach Streit in Geflüchtetenunterkunft erschossen)
  • Amed A. (2017/ Kleve/ verbrannt in Gefängniszelle, in der er nur aufgrund manipulierter Polizeidaten saß)
  • Matiullah Jabarkhil (2018/ Fulda/ nach Steinwürfen auf Bäckerei von Polizisten erschossen)
  • William Tonou-Mbobda (2019/ Hamburg/ Tod nach Fixierung durch Security der UKE Psychiatrie)
  • Rooble Muse Warsame (2019/ Schweinfurt/ in Polizeizelle, angeblich selbst erhängt. Der Körper wies allerdings keine Würgemale, sondern äußere Verletzungen auf)
  • Adel B. (2019/ Essen/ erschossen von Polizisten nach angedrohtem Selbstmordversuch)

Diese erschreckende, aber noch immer unvollständige Liste11 macht klar, dass es sich bei der immer wieder gebrauchten Floskel vom „Einzelfall“ um eine untragbare Verharmlosung handelt, die eine Diskussion über systemische Probleme mit Gewaltanwendung und Rassismus in der Polizei verunmöglichen soll. Allen Fällen gemein ist der mangelnde Aufklärungswille von Polizei und Staatsanwaltschaften.

Aufklärung und Transparenz unerwünscht

Doch selbst Minimalforderungen, wie die u.a. von Amnesty International wiederholt geforderte12 Einführung tatsächlich unabhängiger und mit eigenen Ressourcen ausgestatteter Ermittlungsstellen, die ein Mindestmaß an Transparenz und Ermittlungsdruck herstellen könnten – aktuell ermitteln Polizist*innen gegen ihre Kolleg*innen – werden von den Polizeigewerkschaften und diversen Politiker*innen, weit über konservative Kreise hinaus, zurückgewiesen.

Aktuell läuft die Gewerkschaft der Polizei Sturm gegen ein neues Antidiskriminierungsgesetz, das in Berlin beschlossen wurde. Kommt es zu einer Ermittlung wegen diskriminierendem Verhalten gegen eine Berliner Behörde – darunter auch die Polizei – soll diese in Zukunft belegen müssen, dass dieses diskriminierende Verhalten nicht stattgefunden hat. Die Beweislast würde somit von der Betroffenenseite auf die Behördenseite übergehen.13 Obwohl es sich dabei um verwaltungsrechtliche Vorgänge und nicht um Strafrecht gegenüber einzelnen Beamt*innen handelt, geht die Polizeigewerkschaft soweit, die Innenministerien anderer Bundesländer aufzufordern keine Polizeikräfte für Großeinsätze mehr nach Berlin zu schicken, nachdem das Gesetz nun beschlossen wurde. Ähnliche Proteststürme sind auch gegen die Einführung einer Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamt*innen bekannt, die es zumindest ermöglichen würde, gewalttätige Beamt*innen zu identifizieren. Dieses Vorgehen – selbst gegen minimale Reformen der Rechenschaftspflicht von Polizeibehörden – zeigt, wie auch in Deutschland versucht wird, einen Raum der Undurchsichtigkeit und damit Straflosigkeit für Polizeikräfte mit allen Mitteln aufrecht zu erhalten.

Militarisierung der Polizei in Deutschland

Währenddessen ist spätestens seit der Terrorhysterie seit 2015 auch in den 17 deutschen Polizeibehörden eine klare Tendenz der Militarisierung festzustellen. In den letzten fünf Jahren wurden Spezialeinheiten aufgestockt und weiter in der Fläche verteilt. Sieben Länderpolizeien und die Bundespolizei haben neue Panzerwagen nach militärischem Vorbild beschafft. Fünf Länderpolizeien haben – z.T. auch für die Besatzung der Streifenwägen – Sturmgewehre in größeren Mengen angeschafft. Titanhelme und schwere schusssichere Westen, wie sie zuvor nur beim Militär und in Spezialeinheiten getragen wurden, haben bundesweit Einzug in die Streifenwägen gehalten. Zudem werden die Streifenbeamt*innen bundesweit für sogenannte „lebensbedrohliche Einsatzlagen“ in paramilitärischen Intensivkursen weitergebildet.14 Auch hier zu Lande ist eine Verschiebung der polizeilichen Logik und Mentalität hin zu einer zunehmend militärischen Perspektive auf Kriminalitäts- und Terrorismusbekämpfung festzustellen. Ein erstes Bild davon, wie diese Logik und das neue Material auch gegen Demonstrationen und Straßenproteste in Stellung gebracht werden können, zeigte sich während des G20-Gipfels in Hamburg 2017.15

Passend dazu wurden in den letzten Jahren in diversen Ländern die Polizeigesetze verschärft, wobei zu Ungunsten von Transparenz und Bürgerrechten die Befugnisse der Behörden ausgeweitet wurden. Die baden-württembergische Landesregierung plant sogar während der Corona-Pandemie und noch während alle Welt über Polizeigewalt diskutiert die nächste Verschärfung des Polizeigesetzes. Bereits am 25. Juni 2020 ist die erste Lesung im Landtag geplant und schon im Juli soll das Gesetz still und heimlich verabschiedet werden.16

Bei allen Unterschieden handelt es sich bei rassistischer Polizeigewalt und der Militarisierung der Polizei also keineswegs um rein US-amerikanische Probleme – vielmehr gibt es in Deutschland ebenfalls gute Gründe, in Solidarität mit den Protesten in den USA, aber auch mit einem klaren Blick auf die hiesigen Probleme, auf die Straße zu gehen.