Militärisch hat die NATO den Krieg um Afghanistan längst verloren. Immer mehr Soldaten bringen dem Land immer weniger Sicherheit. Mehr als 70000 Soldaten der Koalitionstruppen haben außerhalb ihrer Militärbasen nur sehr punktuell so etwas wie Bewegungsfreiheit, und die Zahl der »Sicherheitszwischenfälle« nimmt kontinuierlich zu. Das politische Eingeständnis dieser Niederlage wird jedoch durch immer härtere Militärschläge und durch den massiven Ausbau der Truppenpräsenz möglichst lange hinausgeschoben. Die Frage, die sich heute stellt, ist nicht, ob es einen militärischen Sieg geben kann, sondern wie viele Zehntausende zusätzliche Soldaten noch in das Land am Hindukusch geschickt werden, wie viele Milliarden an Steuergeldern für diesen Krieg noch ausgegeben werden und, vor allem, wie viele Zivilisten mit ihrem Leben für die rücksichtslose Machtpolitik der NATO-Staaten zahlen müssen, bis die NATO-Führung ihre Niederlage endlich eingesteht.
Die Bundeswehr gehört mit aktuell 3500 Soldaten zu den großen Truppenkontingenten des ISAF-Einsatzes. Mehr Truppen stellen nur die USA, Großbritannien und Frankreich, das in den letzten Monaten seine Beteiligung an ISAF massiv verstärkt hat. Deutsche Soldaten sind nun seit nahezu sieben Jahren am Krieg und an der Besatzung in Afghanistan beteiligt – eine lange Zeit, in der Bundeswehrsoldaten immer mehr zur aktiven Kriegspartei wurden. 28 von ihnen und drei Polizisten haben in Afghanistan bisher ihr Leben verloren. Die Chronologie dieser im wahrsten Sinne der Wortes fatalen Bundeswehrpräsenz in Afghanistan soll im folgenden näher beleuchtet werden.
2001: Terror und Tradition
Die Anschläge am 11. September 2001 in New York und Washington waren eine Tragödie für die Betroffenen und deren Angehörige. Für Teile der US-Administration jedoch war es eine »Tragödie, die zur Chance werden kann«, wie es Henry Kissinger, damals Berater des US-Präsidenten George W. Bush, direkt nach 9/11 formulierte. Kriegspläne gegen Afghanistan, die schon seit Monaten in den Schubladen des Pentagon lagen, konnten nun auf die politische Agenda gesetzt werden. Zusammen mit britischen Soldaten begannen US-Militärs am 7. Oktober 2001 den Krieg gegen Afghanistan. Sie gaben ihm den Namen »Operation Enduring Freedom« (OEF), »Fortwährende Freiheit«. Zug um Zug schloß sich diesem brutalen Kampfeinsatz eine wild zusammengewürfelte »Koalition der Willigen« an. Die vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) verkündete »uneingeschränkte Solidarität« umfaßte schnell auch eine militärische Komponente. Anfang November, inmitten von Erfolgs- und Horrormeldungen aus dem Krieg in Afghanistan, erhielt Schröders »rot-grüne« Regierung eine US-amerikanische Wunschliste mit fünf Anforderungen: ABC-Spürpanzer, Soldaten zur Evakuierung von Verwundeten, 100 Soldaten des »Kommandos Spezialkräfte« (KSK), Kapazitäten für den Lufttransport und schließlich Marineeinheiten. Insgesamt wurden aus Washington 3900 Mann für den »Antiterrorkrieg« angefordert. In den darauf folgenden parlamentarischen Debatten wurde gebetsmühlenartig die »Bündnissolidarität« beschworen. Die konkrete Entscheidung für die Teilnahme an OEF am 15. November 2001 dürfte aber auch vom Interesse an einer deutschen Präsenz in der geostrategisch bedeutsamen Region in Zentral¬asien beeinflußt worden sein.
Der Deutsche Bundestag beschloß mit der Beteiligung der Bundeswehr an der OEF auch, daß deutsche Soldaten »Terroristen« aufspüren, gefangennehmen und dazu beitragen sollten, diese vor Gericht zu stellen. Für die Frage, wie Bundeswehrsoldaten mit Gefangenen umzugehen haben, gab es jedoch keine verbindliche Antwort der politisch Verantwortlichen. Diese Frage ist aber für deutsche Soldaten extrem brisant, da sie bei Übergabe von Gefangenen an US-amerikanische Soldaten nicht ausschließen können, daß den Aufgegriffenen die Todesstrafe droht. Noch brisanter entwickelte sich das Dilemma, als klar wurde, daß die USA auf Guantánamo einen rechtsfreien Raum schuf, in dem Gefangene nicht einmal Anspruch auf ein ordnungsgemäßes Verfahren haben. Das Mandat wurde dennoch unbeirrt jedes Jahr im Herbst verlängert, zuletzt am 15. November 2007. Kanzler Schröder verband damals die Abstimmung über den Afghanistan-Einsatz mit der Vertrauensfrage und verschaffte sich so, wenn auch knapp, eine »rot-grüne« Mehrheit für den Kriegseinsatz.
Schnell brach ein Vorauskommando des KSK Richtung Masira (Oman) auf, um dort in der Wüste für den Kampf in Afghanistan zu trainieren. Fünf Jahre später kamen Bilder aus dieser Trainingsphase an die Öffentlichkeit: Soldaten hatten für ihre Geländewagen das Wehrmachtssymbol, die Palme von Rommels Afrikakorps, nachgemacht, bei der lediglich das Hakenkreuz durch das Bundeswehrkreuz ersetzt wurde.
Am 21. Dezember verabschiedete der UN-Sicherheitsrat ein auf Kapitel sieben der UN-Charta gestütztes »robustes« Mandat für eine internationale Militärpräsenz in Kabul, genannt International Security Assistance Force (ISAF). Nur einen Tag später beschloß eine Mehrheit der Bundestagsabgeordneten, 1200 Soldaten über einen Zeitraum von sechs Monaten für den ISAF-Einsatz zur Verfügung zu stellen.
2002: KSK außer Kontrolle
Bereits am 2. Januar 2002 erkundeten erste Bundeswehrsoldaten die Einsatzbedingungen für die ISAF in Kabul. Ebenfalls in den ersten Januartagen leisteten Angehörige des KSK Wachdienst im Gefangenenlager auf dem Flughafen in Kandahar. Dabei kam es zu einem Zusammentreffen mit dem verschleppten, in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Murat Kurnaz. Da Kurnaz nach dieser »Begegnung« viele Jahre in Guantánamo interniert worden war, konnte er seine Vorwürfe über Mißhandlungen durch KSK-Soldaten erst sehr viel später öffentlich machen. Erst im Januar 2007 begannen Ermittlungen wegen möglicher Körperverletzung durch Bundeswehrangehörige. Zu diesem Zeitpunkt waren jedoch zahlreiche Dokumente des damaligen KSK-Einsatzes verschwunden oder »versehentlich« gelöscht worden. Politisch Verantwortliche, die in zwei Untersuchungsausschüssen des Bundestags befragt wurden, erinnerten sich an nichts oder waren nie über Details informiert worden, so daß wohl nie endgültig zu klären ist, was damals in Kandahar geschehen ist. Eines ist jedoch klar: Eine angemessene parlamentarische Kontrolle des KSK durch den Bundestag existiert nicht.
Während KSK-Soldaten im Süden des Landes als Teil einer gnadenlosen Kriegsmaschinerie agieren, die für zahlreiche tote Zivilisten verantwortlich ist, kommt den deutschen Soldaten des ISAF-Kontingents die Aufgabe zu, durch Patrouillen in Kabul Präsenz zu zeigen und den »Petersberg-Prozeß« zur »Demokratisierung« Afghanistans zu begleiten. So lautete in den ersten Monaten die Hauptaufgabe. Bei der Bewachung der Loya Jirga, der großen Ratsversammlung, im Juni 2002 benötigte die Bundeswehr zusätzliches Personal und überschritt dabei ihre Mandatsobergrenze. Bei der Verlängerung des Mandats am 14. Juni wurde sie auf 1400 erhöht. Bereits am Tag zuvor war der von den USA favorisierte Präsident Afghanistans, Hamid Karsai, erwartungsgemäß gewählt worden. Bei der Abstimmung wurden zwar mehr Stimmen abgegeben, als Wahlberechtigte im Raum waren, aber das störte zumindest die Koalitionstruppen nicht. Noch einmal wurde das Mandat um ein halbes Jahr und dann am 20. Dezember um zwölf Monate verlängert. Für die dabei stattfindende Ausweitung des Mandats auf maximal 2500 Soldaten wurde die geplante Übernahme des ISAF-Kommandos durch die Bundeswehr angeführt.
2003: Deutsches Kommando
Am 10. Februar übernahm dann die Bundeswehr das ISAF-Kommando in Kabul. Im Süden Afghanistans wurde es etwas ruhiger, weil die USA fast alle Spezialeinheiten abzogen, um sie im geplanten völkerrechtswidrigen Krieg gegen Irak einsetzen zu können. Das KSK blieb in Afghanistan. Es wurde nun zur Unterstützung des deutschen ISAF-Kommandos vor allen mit Unternehmen im näheren und weiteren Umfeld von ISAF beauftragt.
Am 16. Mai, nach einem Gespräch mit dem damaligen US-Außenminister Colin Powell, erklärte Kanzler Schröder öffentlich, daß eine Ausweitung des ISAF-Einflußgebiets über Kabul hinaus geprüft werde. Die erneute Anhebung der Truppenobergrenze und die Ankündigung der Ausweitung des Einsatzgebiets auf Nordafghanistan muß auch als Kompensationsleistung dafür gesehen werden, daß deutsche Soldaten nicht unmittelbar am Irak-Krieg teilnehmen. Mitte Juli trat der damalige Außenminister Joseph Fischer in Washington zum Besuch an und versprach weiteres deutsches »Engagement in Afghanistan«. Im August verdichteten sich die Hinweise, daß die Bundeswehr künftig auch in Kundus, im Norden Afghanistans, präsent sein werde, Schröder bestätigte dies am 27. August offiziell.
Die Ausweitung der Militärpräsenz sollte als zivil-militärische Kooperation organisiert werden. In »Provincial Reconstruction Teams« (PRT, regionale Wiederaufbauteams) wird bis heute versucht, »hearts and minds«, die Herzen und Köpfe der Afghanen zu gewinnen. Gegen diese Instrumentalisierung von zivilen Akteuren wehren sich Hilfsorganisationen wie Caritas und Diakonie entschieden. Sie befürchteten zu recht, daß die humanitäre Hilfe durch Militärpräsenz gefährdet wird und für zivile Hilfskräfte das Risiko steigen könnte. Dieses Bedenken hielt die Mehrheit der Bundestagsabgeordneten jedoch nicht davon ab, am 24. Oktober das ISAF-Mandat erneut zu verlängern und auch der Entsendung von 230 Soldaten nach Kundus zuzustimmen. Kaum war der Beschluß gefallen, brachen die ersten Soldaten dahin auf.
Eine weitere, wenn auch ganz andere Zäsur, ergab sich für den deutschen Einsatz im November durch die Abberufung von KSK-Kommandeur Brigadegeneral Reinhard Günzel. Auslöser dieser Maßnahme war ein Brief, den er zur Verteidigung des Bundestagsabgeordneten Martin Hohman (CDU) geschrieben hatte, der von Juden als »Tätervolk« schwadroniert hatte. Günzel vertreibt sich seitdem die Zeit als Vortragsredner für rechte Kreise und veröffentlichte im Jahr 2007 den Bildband »Geheime Krieger« zusammen mit Wilhelm Walther, Exkommandeur der »Brandenburger«, einer berüchtigten Sondereinheit der Wehrmacht. Günzel stellt darin eine Traditionslinie her von den Einsätzen dieser Spezialeinheiten im »Dritten Reich« zu den heutigen Einsätzen des KSK. Das Selbstverständnis der Spezialeinheiten habe sich seit dem Zweiten Weltkrieg nicht geändert, heißt es dort.
Im Dezember fanden sich Delegierte aus allen Landesteilen Afghanistans zur verfassunggebenden Loya Jirga ein. Auf dieser Versammlung fand eine junge weibliche Abgeordnete, Malalai Joya, sehr deutliche Worte für die Greueltaten der anwesenden Warlords und wurde daraufhin massiv bedroht. Als am 4. Januar 2004 ein Kompromißtext als Verfassung verabschiedet wurde, war sie nicht mehr dabei. Die Verfassung gibt dem Präsidenten des Landes weitreichende Befugnisse und etabliert ein stark zentralistisches Staatsmodell, das aus Sicht vieler Experten ein wichtiger Grund für das Scheitern der »Demokratisierung« Afghanistans ist.
Der Widerstand in Afghanistan speist sich aus vielen Quellen und ist kein homogener Block. Was die allermeisten Gruppen jedoch gemeinsam haben, ist ihre antizentralistische Einstellung. Ein politisches System, das keine ausgeprägte föderalistische Komponente hat, wird von diesen Kräften immer als Angriff auf ihre regionale Eigenständigkeit verstanden werden und birgt deswegen ein massives Eskalationspotential.
2004: »Unser Norden«
Am 6. Januar 2004 wurde der ISAF-Außenposten in Kundus unter das erweiterte Kommando der NATO gestellt. Die NATO erweist sich immer mehr als das Dach, unter dem sich zugleich die politisch angeblich so verschiedenen Einsätze ISAF und OEF zusehends annähern. Die Bundeswehrpräsenz in Kundus wurde weiter ausgebaut und erhielt eine offensivere Komponente: Fallschirmjäger und gepanzerte Fahrzeuge machen den Standort »militärisch handlungsfähig«. Im Verlauf des Jahres näherte sich die Stärke des Bundeswehrkontingents an die im Mandat für Kundus festgelegte Obergrenze von 450 Soldaten an. Das PRT in Kundus erhielt in Feisabad (Region Badachschan) eine »Außenstelle«, die schnell zum eigenständigen »Regionalen Wiederaufbauteam« umgewandelt wurde. Die Bundeswehr, ihre Verbündeten, aber auch Arbeiter in den Bundeswehrliegenschaften wurden seitdem zunehmend zu Opfern von Angriffen; die Sicherheitslage, vor allem in der Region Kundus, verschlechterte sich spürbar.
Auch Angehörige von Hilfsorganisationen wurden verstärkt zur Zielscheibe von Anschlägen. Am 2. Juni starben dabei fünf Mitarbeiter von »Ärzte ohne Grenzen«. Daraufhin stellte die Organisation ihre Arbeit im Land ein, nach dem sie dort 25 Jahre lang tätig war, also sowohl zu Zeiten der sowjetischen Präsenz im Land als auch unter den Taliban. Die massive Zunahme der Gefährdung führte die Organisation hauptsächlich auf die Vermischung ziviler und militärischer Hilfe zurück.
2005: Entgrenzter Einsatz
Im Januar 2005 sickerte an die Öffentlichkeit, daß KSK-Einheiten in Afghanistan auch zur Bekämpfung von Drogenkriminalität eingesetzt werden sollen. Für ihre Einsätze erhielten Kommandosoldaten erstmals eigene Einsatzgebiete und den Auftrag, »feindliche Kräfte« zu eliminieren. Dabei soll es auch Tote bei der KSK gegeben haben. Das Verteidigungsministerium verweigert bis heute wie gewohnt jegliche Auskunft dazu.
Der deutsche Brigadegeneral Bernd Kiesheyer wurde erster »Regional Area Commander« im Norden Afghanistans. Seine Aufgabe ist es, die zivil-militärische Kooperation im gesamten Norden zu koordinieren.
Die Präsenz der ISAF wurde um den Westen des Landes erweitert, daran war die Bundeswehr vorläufig nicht beteiligt. Bei der Mandatsverlängerung wurde die Obergrenze für eingesetzte Bundeswehrsoldaten jedoch auf 3000 erhöht, und auf Drängen der NATO wurde das Einsatzgebiet der Bundeswehr über den Norden hinaus ausgeweitet, allerdings nur in begrenztem Umfang und kurzfristig – in »unabdingbaren« Notlagen. Die Bundeswehr legt diese Einschränkungen jedoch seitdem sehr großzügig aus; sie ist ständig mit 30 bis 50 Soldaten außerhalb des Nordens und Kabuls aktiv. Es handelt sich bei diesen Gebietsüberschreitungen überwiegend um Aufgaben für Fernmeldespezialisten, aber auch für »Austauschpiloten«, die etwa bei der britischen Royal Airforce für mehrere Monate eingesetzt werden. Mit bis heute mehr als 400 Unterstützungsflügen werden die Koalitionstruppen im Süden und Osten verstärkt. In der Regel handelt es sich hierbei um den Transport von Verwundeten.
2006: Aufstandsbekämpfung
Zur Jahresmitte 2006 wuchs der Einsatzbereich der ISAF im Süden des Landes, im Herbst dann im Osten. Dadurch wurde ISAF nun in ganz Afghanistan aktiv. ISAF-Soldaten übernahmen damit nicht nur die Einsatzregionen der Taliban, sondern auch deren Vorgehen. Eine Abgrenzung zwischen Einsatzgebieten und Auftrag von ISAF und OEF wird nahezu unmöglich. Seit Sommer 2006 sind ISAF-Soldaten an massiven und offensiven militärischen Auseinandersetzungen mit Aufständischen beteiligt. Die ISAF versucht, so »Frieden« in offenen Feldschlachten zu »erzwingen«. Da sich die NATO dabei jedoch vor allem im zivilen Umfeld bewegt und selten klar ist, ob es sich um Kombattanten handelt oder um Zivilisten, steigt die Anzahl der zivilen Opfer kontinuierlich.
Die Bundeswehr verlagerte ihr Hauptquartier nach Masar-i-Sharif, sie befindet sich damit auch in strategischer Nähe zu ihrem Luftwaffenstützpunkt Termez in Usbekistan.
In Deutschland sorgten Bilder von Bundeswehrsoldaten, die mit Totenschädeln posieren, für einen Skandal. Kurzfristig ermittelte der Staatsanwalt gegen 23 aktive und frühere Soldaten. Als sich herausstellte, daß es sich bei den Schädeln vermutlich um Überreste sowjetischer Soldaten aus den 1980er Jahren handelt, verloren Politik und Justiz das Interesse. Grundsätzliche Fragen nach einer möglichen Verrohung von Bundeswehrsoldaten durch den Einsatz, die sich in einem solchen verhalten zeigt, wurden nicht weiter verfolgt.
2007/2008: Tornados und AWACS
Im März 2007 erhöhte sich die Mandatsobergrenze durch das Tornado-Mandat auf 3500. Im Herbst wurden beide Mandate (Tornado und ISAF) zu einem zusammengefaßt. Die Aufklärungsflüge finden zur Hälfte im Süden und Osten statt und tragen damit zur Zielerfassung für Bombardements im Einsatzgebiet bei. Vor allem aber übernehmen deutsche Piloten nun eine Aufgabe, die zuvor britische Piloten wahrgenommen haben. Durch diese Aufgabenverteilung sind seitdem britische Piloten nicht mehr mit Überwachungsflügen beschäftigt, sondern stehen für Bombardements zur Verfügung.
Im Herbst 2007 nahmen Bundeswehrsoldaten an Kampfeinsätzen im Grenzgebiet zwischen den Regionalkommandos Nord und West teil, gelegentlich verließen sie dabei auch ihr Mandatsgebiet. Angeblich ging es nur um organisatorische Unterstützung der norwegischen Kräfte. Wie sich später herausstellt, ging es auch um die Vorbereitung deutscher Einheiten auf offensivere Einsätze im Rahmen der Quick Reaction Force (QRF). In den Militäreinsätzen »Harekate Jolo I« und »Jolo II« sollten Stützpunkte regierungsfeindlicher Kräfte eingenommen werden, um die Regionen wieder unter die Gewalt der Zentralregierung zu bringen. Wie wenig solche und ähnliche Aktion zu einer Befriedung und Kontrolle des Landes beitragen, zeigte die ernüchternde Bilanz des US-Geheimdienstkoordinators Mike McConnell vom März 2008, als er in Anhörungen im US-Kongreß und auch in einem schriftlichen Bericht feststellte, daß nur 30 Prozent Afghanistans von Karsai und seiner Regierung (und damit von der NATO) kontrolliert werden. Zehn Prozent des Landes befinden sich im Einflußgebiet der Taliban, während der große »Rest« von lokalen Machthabern kontrolliert wird. Die Demokratisierung Afghanistans und das Projekt »Nation Building« wird in der Bevölkerung angesichts steigender Kriminalität und Korruption kaum noch ernst genommen. »Nach Einschätzung der Bevölkerung ist die Lage derzeit eher noch schlimmer als zu Zeiten der Taliban, der Mudschaheddin oder der Kommunisten«, heißt es in einer aktuellen Studie des Insituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg.
Anfang des Jahres 2008 sickerte die Information an die Öffentlichkeit, daß die Bundeswehr ab Sommer von den Norwegern die QRF in Afghanistan übernehmen soll. Seit 1. Juli 2008 sind Panzergrenadiere aus Augustdorf und Fallschirmjäger der »Division Spezielle Operation« nun in Afghanistan unterwegs. Da es sich hierbei zum Teil um explizit offensive Aktionen handelt, rechnete auch die Bundeswehrführung mit Todesopfern speziell in dieser Einheit. Ein erster Soldat der deutschen QRF kam am 27. August bei einer Patrouille ums Leben. Doch auch die Bundeswehr ist zunehmend direkt für tote Zivilisten verantwortlich. Am 19. August erschossen Bundeswehrsoldaten nach Angaben der afghanischen Polizei einen unbewaffneten Schäfer, und am 29. starben eine Frau und zwei Kinder im Kugelhagel deutscher Soldaten, als ihr Fahrzeug vor einer Straßensperre umkehrte (siehe jW vom 30.8.3008).
Wenn am 16. Oktober der Bundestag abschließend über die Ausweitung des ISAF-Mandates auf 4500 Soldaten abstimmt, dann steht möglicherweise auch die Entsendung von bis zu sieben AWACS-Flugzeugen auf der Tagesordnung. Nach offiziellen Angaben geht es nur darum, daß diese als eine Art »Flughafentower« den afghanischen Luftverkehr regeln. Doch dafür gibt es überall auf der Welt effizientere und auch ökologischere Lösungen. 40 Prozent der AWACS-Besatzung in dieser multinationalen und integrierten Einheit bestehen aus deutschen Soldaten. Zur Zeit sind die 17 NATO-Maschinen im Stützpunkt Geilenkirchen bei Aachen stationiert, und Teile davon sollen nach Wunsch des NATO-Militärausschusses in die Golfregion verlegt werden.
AWACS können auch als Feuerleitstelle eingesetzt werden. Dies hat im Mai 2008 das Bundesverfassungsgericht festgestellt, als es in einem Grundsatzurteil (BVerfG, 2 BvE 1/03 vom 7.5.2008) entschied, daß der Bundestag in jedem Fall befaßt werden muß, wenn Soldaten möglicherweise in bewaffnete Auseinandersetzungen verwickelt werden. Dies hatte die Bundesregierung bei der Entsendung von AWACS-Besatzungen an die Grenze der Türkei zu Beginn des Irak-Krieges mißachtet.
Die AWACS können über eine Distanz von Hunderten Kilometern Objekte im afghanischen Luftraum identifizieren, auch in Pakistan und im Iran. Es wäre also ohne weiteres möglich, daß AWACS-Besatzungen Ziele für ISAF oder OEF-Einsätze in Afghanistan und darüber hinaus zuweisen. Durch diese Überwachungsflugzeuge erhält der Afghanistan-Krieg eine zusätzliche regionale Dimension – mit dem Potential für eine globale Eskalation.
Unkalkulierbare Heimatfront
Der Bundesregierung ist bewußt, daß eine überwiegende Mehrheit der Bevölkerung den Afghanistan-Einsatz ablehnt. Um dennoch eine Akzeptanz oder wenigstens Gewöhnung an deutsche Kriegsbeteiligungen zu erreichen, bemühen sich das Verteidigungsministerium und die Bundeswehrführung um eine häufige und sichtbar öffentliche Präsenz der Bundeswehr im Innern. Dazu gehören auch Inszenierungen wie das »öffentliche« Gelöbnis von Rekruten vor dem Reichstag. Wohl in der Annahme, daß die Präsenz der Bundeswehr am Hindukusch und in anderen Kriegs- und Besatzungseinsätzen weltweit zukünftig für immer mehr tote deutsche Soldaten sorgen wird, plant das Verteidigungsministerium seit 2007 ein Ehrenmal für die »Gefallenen«. Die Inschrift soll lauten: »Den Toten unserer Bundeswehr – Für Frieden, Recht und Freiheit«.
Solche Imagemaßnahmen sind so unnötig wie erfolglos. Die ständige Erhöhung der Ausgaben für die Bundeswehr (nach NATO-Kriterien 2009: 33,5 Milliarden Euro) und der gleichzeitige Sozialabbau sorgt zunehmend für Proteste. Die Demonstrationen am heutigen Tag sind erst der Auftakt für ein größere Mobilisierung der Kriegsgegner zu den Protesten gegen den NATO-Gipfel am 3. und 4. April 2009. Nur wenn der politische Protest in den NATO-Staaten unüberhörbar wird, gibt es eine Chance, den Afghanistan-Krieg zu stoppen.
Claudia Haydt ist Soziologin und Religionswissenschaftlerin. Sie ist Mitglied im Vorstand der Informationsstelle Militarisierung e.V. in Tübingen (imi-online.de)
Claudia Haydt