Die vorliegende Zusammenstellung (PDF) ist eine Einführung zum Thema Bundeswehr in der Öffentlichkeit. Sie soll einen Überblick über die Methoden der Bundeswehr zum Anwerben von Nachwuchs liefern. Hierbei wird der für uns zentrale Aspekt einer fortschreitenden militarisierten Gesellschaft besonders hervorgehoben, da durch diesen eine allgemeine Akzeptanz erlangt werden soll. Es konnte nicht auf alle Facetten eingegangen werden, die in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen, wie beispielsweise die immer weiter ausgebaute Zusammenarbeit von Bundeswehr, Geheimdiensten und Polizei sowie Verbindungskommandos mit Hilfe derer die Bundeswehr direkt in zivile Behörden eindringt. Auch hätte eine ausführliche Analyse der Folgen der Inneren Militarisierung den Rahmen gesprengt.
Die Arbeit soll durch gesammelte Informationen zu Denkanstößen anregen, als Grundlage für Diskussionen dienen und der Vorbereitung von Alternativveranstaltungen nutzen.

Einleitung

Seitdem die Bundeswehr seit den 90er-Jahren im Ausland Krieg führt, werden ständig mehr Berufssoldaten benötigt. Um den Ausbau zu einer weltweit einsatzfähigen Armee voranzutreiben, die die deutschen politischen und wirtschaftlichen Interessen global vertreten soll, sollen jährlich 20.000 neue Soldaten rekrutiert werden. Das Weißbuch der Bundeswehr, dass die Agenda des deutschen Militärs für die nächsten zehn Jahre festlegt, empfahl 2006: Die Armee soll in 35.000 Eingreif-, 70.000 Stabilisierungs- und 147.500 Unterstützungskräfte unterteilt werden. Für zivile Mitarbeiter sind von 2010 an noch 75.000 Stellen vorgesehen.|1| In der Werbebroschüre der Bundeswehr für die Bildungsmesse „Horizon“ im März 2010 wird von 100.000 rekrutierten zivilen Mitarbeitern gesprochen. Die Zahl der Bundeswehr-Soldaten in Auslandseinsätzen, vor allem in Afghanistan, steigt kontinuierlich, zur Zeit sind es 7.010 (Stand: 18.3.2010).|2|
Obwohl sich die Bevölkerung in Deutschland mit einer deutlichen Mehrheit von 71% (ZDF im Januar 2010) gegen die Fortführung des Afghanistan-Krieges ausspricht, wird er fortgeführt und militärisch eskaliert. Und obwohl 78% aller Soldaten ihren Beruf nicht weiter empfehlen würden, verstärkte und verstärkt die Bundeswehr ihre Rekrutierungsmaßnahmen massiv.|3| Dazu schreibt  Generalmajor Born im Bundeswehr-Magazin „Innere Führung“ (4/08): „Dank großer Anstrengungen und ständiger Optimierung im Bereich des Personalmarketing wird die Bedarfsdeckung 2008 noch mal auf dem guten Vorjahresniveau gelingen. Sie wird jedoch zunehmend schwieriger.
Diese Bedarfsdeckung wurde einerseits durch die Herabsenkung der Anforderungen für Rekruten in den Bereichen psychische Belastbarkeit und Verhaltensstabilität im Jahr 2006 erreicht,|4| andererseits durch eine massive Ausweitung der Werbemaßnahmen. Im Jahr 2009 gab es knapp 1.000 Werbeauftritte der Bundeswehr auf Festen, Messen, in Schulen, Betrieben und Arbeitsagenturen, 1.346 Auftritte der Bundeswehr-Musikkorps, über 180 öffentliche Gelöbnisse, 12 große Zapfenstreiche und 98 andere militärische Zeremonien.|5|
In dem Vortrag möchten wir auf fünf Rekrutierungsfelder der Bundeswehr genauer eingehen:
(1) Öffentliche Wahrnehmung
(2) Firmen/Zivil-militärische Zusammenarbeit
(3) Schulen/Bildungsmessen/Universitäten
(4) Jugend/Freizeit
(5) Arbeitsagenturen

(1) Öffentliche Wahrnehmung
In der Öffentlichkeit versucht die Bundeswehr zunehmend, zur gesellschaftlichen Normalität zu werden und als diese auch gesellschaftlich akzeptiert zu werden. Dementsprechend will sie in der Öffentlichkeit dargestellt werden. Im Juli 2009 gab es diesbezüglich zwei deutliche Signale („Kriegerdenkmal“ und „Tapferkeitsorden“), zusätzlich zu den seit Jahren praktizierten Veranstaltungen.
a) „Kriegerdenkmal“
Am 4. Juli 2009 wurde in Berlin das neue „Kriegerdenkmal“ eingeweiht, das den gefallenen deutschen Soldaten im Ausland gedenken soll. Dies ist das erste zentrale Bundeswehrdenkmal für im Einsatz gefallene Soldaten und soll die Tatsache, dass deutsche Soldaten wieder bei Kriegseinsätzen im Ausland sterben, normalisieren, gesellschaftlich akzeptabel machen und die Toten zu „Helden des Vaterlands“ machen.
b) „Tapferkeitsorden“
Am 5. Juli 2009 wurde zum ersten Mal seit Ende des Zweiten Weltkriegs ein „Tapferkeitsorden“ in Form und Tradition des Eisernen Kreuzes von der Bundeskanzlerin an vier deutsche Soldaten verliehen, die sich bei einem Angriff in Afghanistan „heldenhaft um ihre Kameraden gekümmert haben“. Bei dem Angriff kamen zwei Bundeswehrsoldaten und fünf Kinder ums Leben. Die Kinder werden in der Ehrung für die Soldaten nicht erwähnt, ein deutliches Zeichen für das Verhältnis der Bundeswehr zu Zivilpersonen und Soldaten.|6|
c) Öffentliche Gelöbnisse
Dazu gab es wie in den Jahren zuvor öffentliche Gelöbnisse, also öffentliche Vereidigungen von neuen Soldaten auf öffentlichen Plätzen. Dabei sagen die zu Vereidigenden folgenden Text auf: „Ich gelobe der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen“. Vom Grundgesetz und den darin enthaltenen Vorschriften für Militär ist nicht die Rede, dazu lässt der Text großen Spielraum für Interpretationen.
Am 20. Juni 2009, am Tag des Attentats des Militaristen und Nationalisten General von Stauffenberg auf Adolf Hitler im Jahr 1944, fand vor dem Reichstag in Berlin ein öffentliches Gelöbnis von Rekruten statt. Damit soll der „Widerstand“ gegen den Nationalsozialismus „von oben“ und aus dem deutschen Militär in den Mittelpunkt des Widerstands gegen den Nationalsozialismus gerückt und die Bundeswehr in die vermeintlich fortschrittliche Tradition Stauffenbergs gestellt werden.
Am 30. Juli 2009 fand solch ein öffentliches Gelöbnis auch in München statt. Ein breites Bündnis, u.a. mit ver.di, mobilisierte zu Gegenaktionen. Der Münchner Konstantin Wecker sagte in einem Interview der Münchner Abendzeitung folgendes dazu: „Dass das Militärische heute wieder eine Selbstverständlichkeit erlangt, macht mir Sorgen. Mir ist persönlich alles, was Militarismus wieder in den Vordergrund rückt und salonfähig macht, suspekt. Schon seit frühester Kindheit war mir alles Soldatische unheimlich und jede Uniformierung zutiefst zuwider.“ Proteste gab es beispielsweise auch in Nürnberg, Hannover und Leimen. Dieses Jahr plant das süddeutsche Wehrbereichs-Kommando IV dieses Spektakel am 30. Juli 2010 in Stuttgart. Allein die Bundeswehr zahlt dafür 33.500 Euro,|7| dazu kommen noch die Kosten die die öffentliche Hand zu tragen hat.
Während der öffentlichen Gelöbnisse findet auch ein Einsatz der Bundeswehr im Inneren statt, denn die Städte treten für die Zeit des Gelöbnisses ihr Hausrecht an die Bundeswehr ab, was nichts anderes heißt, dass sie für diese Zeit die polizeilichen Aufgaben übernimmt. So kümmerten sich beispielsweise beim Gelöbnis in Berlin Feldjäger um potentielle „StörerInnen“ und AntimilitaristInnen. 2009 unterstützten/schützten 340 Bundeswehrsoldaten die NATO-Sicherheitskonferenz in München.|8|

d) „Tag der Reservisten“

Am 26. September 2009 fand der „Tag der Reservisten“ der Bundeswehr statt. Der Tag war dieses Jahr kein Erfolg, da in 200 Städten Veranstaltungen geplant waren, aber nur in etwa 30 Städten Veranstaltungen stattfinden konnten. Das Ziel ist es, mit einem familienfreundlichen Auftreten, d.h. mit möglichst vielen teilnehmenden Reservisten und ihren Familien, der Bevölkerung das Militär positiv näher zu bringen und die Jugend zu binden. Dazu werden Geschütze wie Musik, Gewinnspiele, Spendensammlungen, Hüpfburgen für Kinder und natürlich massig Kriegsgerät (laut Bundeswehr „Eventmodule“), bis hin zu Panzern, aufgefahren. Einen Tag vor der Bundestagswahl wollte die Bundeswehr auf diesem Weg Einfluss auf die wegen der Wahl sensibilisiertere öffentliche Meinung nehmen.
In dem eigens für den „Tag der Reservisten“ herausgegebenen Handbuch heißt es, Ziel sei es, „ein positives und geschlossenes Gesamtbild von Bundeswehr und Reserve abzugeben“. Die Reservisten wollen aber nicht nur dazu beitragen, „den Auftrag und das Image der Streitkräfte, sowie das sicherheitspolitische Bewusstsein in der Öffentlichkeit zu stärken“ – wie es beschönigend im Handbuch heißt – sie sind auch aktiv in Kriegshandlungen eingebunden.|9| Jeder achte Soldat im Ausland sei ein Reservist, rühmt sich der Reservistenverband.
Die neuen Prominenten der Reservisten sind Kriegsminister Guttenberg, der Unteroffizier der Reserve ist und Gesundheitsminister Rösler, der seine Ausbildung zum Arzt bei der Bundeswehr in Hamburg absolvierte.
In vielen Städten gab es erfolgreiche Aktionen gegen den „Tag der Reservisten“, im Jahr 2010 soll er am 25. September wieder bundesweit stattfinden, auch in Stuttgart.
e) Musikveranstaltungen
Außerdem gab es viele Auftritte von Bundeswehr-Musikkapellen und -Musikkorps, Militärparaden, Auftritte von Orchestern und dem großen Bundeswehr-Werbetruck mit z.B. Souvenirverkauf auf öffentlichen Plätzen. Auch gegen solcherlei Veranstaltungen gab es kreative Proteste, z.B. Plakate mit „Spiel mir das Lied vom Tod“ oder KriegsgegnerInnen mit Clownskostümen, die die Uniformierung ins Lächerliche ziehen. Im Jahr 2010 plant die Bundeswehr 789 Militärmusikauftritte außerhalb militärischer Liegenschaften. 2009 kosteten solche Auftritte 796.326,52 Euro.|10|
f) Sportförderung
Ein weiteres Betätigungsfeld in Bezug auf Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr ist die Sportförderung. Bei der Leichtathletik-Weltmeisterschaft 2009 in Berlin war jeder fünfte deutsche Athlet bei der Bundeswehr unter Vertrag|11| und damit Soldat. Bei der Winterolympiade 2010 hatten von 153 Sportlern 63 einen Vertrag bei der Bundeswehr (21 Frauen und 42 Männer).|12|
Beim Biathlon haben fast alle Athleten einen Vertrag bei der Bundeswehr. Insgesamt hat die Bundeswehr über 700 Sportler unter Vertrag.|13| Dadurch kann die Bundeswehr ihre Soldaten als friedliche Hochleistungssportler darstellen und das Militär weiter gesellschaftlich normalisieren.
Bei 27 Sportvereinen tritt die Bundeswehr als Sponsor auf.|14|
g) Medien und öffentliche Werbung
Auch in den Medien ist die Bundeswehr seit ein paar Jahren zunehmend präsent. Im Jahr 2008 lief auf Sat1 die Doku-Soap „24 Stunden Reportage – Hanna geht zur Bundeswehr“, im ZDF fliegen die Soldaten der „Rettungsflieger“ und helfen öffentlichkeitswirksam den Menschen und 2010 kam auf Pro7 bei  „We are family“ eine Folge namens „Der Bund fürs Leben – ein Mädchen geht zur Bundeswehr“.
In den S-Bahnen in Berlin ließ die Bundeswehr Werbeplakate aufhängen, in Kinos bei Jugendfilmen wie z.B. Harry Potter oder Krabat und im Privatfernsehen, z.B. auf MTV, werden Werbespots geschaltet, die u.a. eine bezahlte Ausbildung als Pilot versprechen. Verschwiegen wird der dabei pflichtmäßige Auslandseinsatz für ein Jahr. Ein weiteres Beispiel ist der Auftritt der Bundeswehr-Big-Band bei Tv Total auf Pro7.
(2) Firmen/Zivil-militärische Zusammenarbeit
Auch Firmen versuchen, das Bild der Bundeswehr und ihrer Kriegseinsätze in der Öffentlichkeit ins Positive zu korrigieren. Die Deutsche Post-Tochter DHL, die Teile der Basislogistik der Bundeswehr übernehmen und damit gute Gewinne machen wollte, verhängte 8.000 Plakate mit DHL-Flugzeug und Soldaten und einem Verweis auf die Zusammenarbeit.|15| Der bundesweite Protest hat bewirkt, dass die DHL sich von der Logistikausschreibung zurückgezogen hat. Allerdings wird die DHL weiter die Feldpost sowie kleine Lieferungen für die Bundeswehr zustellen. Außerdem ist die DHL auch im Irak für das US-Militär aktiv. Wir werden also weiter dran bleiben.
Die Commerzbank, namentlich der Aufsichtsratsvorsitzende Klaus Peter Müller, initiierte gemeinsam mit dem Ministerium für Verteidigung im Jahr 2007 den so genannten „Celler Trialog“. Beim selbsternannten „Diskussionsforum für Außen- und Sicherheitspolitik“, bei dem hochrangige Vertreter von Politik, Militär und Wirtschaft zusammenkommen, findet die inhaltliche Aussprache weitestgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Der „Celler Trialog“ versteht sich als nationales Pendant zur Münchner „Sicherheitskonferenz“ der NATO. 2010 soll er in Kiel stattfinden.
Das sind zwei Beispiele für zivil-militärische Zusammenarbeit. Das Ziel ist es, eigentlich zivile Strukturen wie Unternehmen, Feuerwehr, Technisches Hilfswerk, Deutsches Rotes Kreuz und viele andere, z.B. bei einem Einsatz der Bundeswehr im Inneren, an die Struktur der Bundeswehr anzugliedern und sie für die Bundeswehr verfügbar und nutzbar zu machen. Dadurch ist keine Trennung zwischen Militärischem und Zivilem mehr möglich, die Bevölkerung gewöhnt sich an die ständige Präsenz von Militärischem im Alltag und die Unternehmen, die mit Kriegen direkte Gewinne machen, haben ein Interesse an deren Fortführung und Ausweitung.
(3) Schulen/Bildungsmessen/Universitäten
Laut UN-Kinderrechtskonvention sind alle Menschen unter 18 Jahren Kinder und dürfen keinen Dienst im Militär leisten. Doch westliche Staaten, darunter die BRD, haben eine Ausnahmeregelung im betreffenden Zusatzprotokoll der Konvention von 2002 erwirkt, nach der staatlichen Armeen die Rekrutierung von über 16-jährigen Freiwilligen unter bestimmten Bedingungen erlaubt ist. Die allermeisten Staaten halten sich dennoch freiwillig an die Grenze von 18 Jahren. Dass die Bundesrepublik Deutschland dazu nicht bereit ist, ist aus Sicht des UN-Ausschusses für die Rechte des Kindes bedauerlich, da dadurch der 18-Jahre-Standard für Kinderrechte aufgeweicht wird.|16| In Deutschland ist es möglich, dass sich 16-jährige mit Zustimmung der Eltern für den Militärdienst verpflichten, wie beispielsweise die 16-jährige Antje Köhlert aus Harburg, die ihren Dienst am 01. Oktober 2009 antrat.
Diese Möglichkeiten werden anscheinend aus Sicht der Bundeswehr nicht ausreichend genutzt, deshalb verstärkt sie auch in diesem Bereich ihre Rekrutierungsbemühungen. Im Jahr 2009 wurden bundesweit 6.526 Schulen angeschrieben,|17| um auf Messestände, den Karrieretruck oder auf direkte Unterrichtsangebote der Bundeswehr hinzuweisen. Geplant und koordiniert wird das alles durch das „Zentrale Messe- und Eventmarketing“ der Bundeswehr, das unterteilt ist in verschiedene „Zentren der Nachwuchsgewinnung ZnwG“ in Nord, Ost, West, Süd und der Marine.
a) „POL&IS“
Das bekannteste Beispiel für ein direktes Unterrichtsangebot der Bundeswehr ist das Strategie-Rollenspiel „POL&IS – Politik & Internationale Sicherheit“. Dieses Spiel, das ähnlich wie „Risiko“ funktioniert, gibt es bereits seit 20 Jahren. 1989 wurde es von Prof. Leipold an die Bundeswehr übergeben, 1993 wurde es an die geopolitische Realität angepasst, statt kaltem Krieg geht es nun um „Globalisierung“. POL&IS wird mit SchülerInnen ab der 9. Klasse über eine Dauer von bis fünf Tagen gemeinsam mit meistens zwei Jugendoffizieren „gespielt“. Dabei werden militärische Lösungen als normal bzw. unausweichlich dargestellt, wenn man in dem Spiel „Erfolg“ haben will. Auch ein atomarer Erstschlag fehlt nicht im Repertoire. Der Sinn, der damit vermittelt werden soll, ist relativ simpel: Ohne Krieg geht es nicht. Jugendoffizier Rump beklagt sich darüber, wie sehr die Medien gegen den Irakkrieg Stimmung machen und die Schüler beeinflussen würden und führt aus: „Wenn die SchülerInnen im Spiel aber Verantwortung trügen, setzen sie oft selbst das Militär ein.“ Im Jahr 2008 wurde POL&IS 360-mal eingesetzt. Etwa 17.500 SchülerInnen, LehrerInnen, Studierende und Referendare wurden in mehr als 2.000 Seminartagen mit diesem Spiel erreicht.|18| Allerdings hat das Spiel bisher zwei eklatante Schwächen: Sobald man sich gleich zu Beginn des Spiels dazu entscheidet, entweder alle MigrantInnen im Land aufzunehmen oder direkt einen Weltkrieg anzuzetteln, kommt das Spiel damit nicht klar und es endet rasch. Ganz neu ist ein NATO-Planspiel für Gymnasien.
Wie schon erwähnt, wird POL&IS gemeinsam mit Jugendoffizieren „gespielt“, davon gibt es momentan 94 hauptamtliche und ca. 300 nebenamtliche. Die Abteilung Jugendoffiziere wurde 1958 auf Befehl des damaligen Generalinspekteurs Adolf Heusinger mit dem Ziel gegründet, den Widerstand breiter gesellschaftlicher Kreise gegen eine Remilitarisierung der Bundeswehr und der Gesellschaft durch intensive Öffentlichkeitsarbeit auszuhebeln. Adolf Heusinger bezeichnete Adolf Hitler 1923 als „von Gott gesandten Mann“, war 1943 Generalleutnant und 1945 Chef des Wehrmacht-Kartenwesens. Trotz dieser Vergangenheit wurde 1986 die Infanterieschule in Hammelburg in „General-Heusinger-Kaserne“ benannt.|19| Bei Gesprächen mit Jugendoffizieren ist es interessant, sie auf ihren Gründer anzusprechen.
b) Unterrichtsmaterialien
Auch bei der konkreten Unterfütterung des Schulunterrichts in Form von Unterrichtsmaterialien geht es aus Sicht der Bundeswehr, mit Unterstützung der Landeszentralen für politische Bildung, stetig voran. Als Beispiel dienen die Unterrichtsmaterialien „Frieden und Sicherheit“, herausgegeben von der Universum Verlags GmbH mit Unterstützung des Ministeriums für Verteidigung. 50 Prozent dieser Universum Verlags GmbH gehören der Universum GmbH, diese gehört zu 100 Prozent der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung.|20|
Dementsprechend heißt es sehr einseitig in einem Arbeitsblatt der Universum Verlags GmbH: „Sieben Jahre nach den Anschlägen vom 11. September und der Vertreibung des Taliban-Regimes durch die Nordallianz ist die Lage in Afghanistan alles andere als ruhig und stabil. […] Das internationale Engagement im Land wird noch viele Jahre andauern, ohne dass erkennbar wäre, wann sich der nach westlichen Vorstellungen entworfene afghanische Staat zu einem alleine lebensfähigen und von allen Afghanen akzeptierten, friedlichen Gemeinwesen entwickelt haben wird.“|21| So soll im Unterricht eine lange Besatzung vermittelt werden, die Frage nach einem Abzug der Truppen wird gar nicht erst aufgeworfen, geschweige denn diskutiert. Die Materialien sind in den Fächern Politik/Gemeinschaftskunde, Ethik, Religion, Geschichte und Geographie einsetzbar. Die Kosten dafür beliefen sich 2009 auf 330.000 Euro; 2007 wurden 325.000 Schülerhefte und 16.000 Lehrerhefte für den Unterricht versandt.|22| Als Quellen für die Materialien dient z.B. das Militärgeschichtliche Forschungsamt der Bundeswehr in Potsdam, damit wird eine möglichst objektive Betrachtung der Lage ausgeschlossen und Informationen von Bundeswehr-Einrichtungen als Informationsgrundlage für Schulbildung über die Bundeswehr und ihre Aktivitäten benutzt.
c) Kooperationsvereinbarungen
Nach Nordrhein-Westfalen (2008) und dem Saarland (2009) wurde am 04. Dezember 2009 eine Kooperationsvereinbarung zwischen dem Kultusministerium Baden-Württemberg und der Bundeswehr unterzeichnet.|23| Laut der diesbezüglichen Pressemitteilung|24| soll damit „die Kooperation zwischen Schulen und Jugendoffizieren gekräftigt werden. Ziel ist eine Intensivierung der Zusammenarbeit im Rahmen der politischen Bildung. […] Themen können globale Konfliktvermeidung und Krisenbewältigung sein, ebenso wie nationale Interessen, die mit baden-württembergischen Schülerinnen und Schülern im Rahmen der Kooperation erörtert werden.“ Wie die Bundeswehr „globale Konfliktvermeidung“ versteht, dürfte nach der Beschreibung von POL&IS klar sein. Generalmajor Wessels, der den Vertrag unterzeichnete, sagte dazu: „Hier in Baden-Württemberg ist die Zusammenarbeit seit Jahrzehnten besonders eng und vertrauensvoll. Soldaten sind an den Standorten in Baden-Württemberg voll integriert und fester Bestandteil des öffentlichen Lebens. Vor diesem Hintergrund war es für uns dann nur konsequent, diese Kooperationsvereinbarung zu schließen, um diese sehr gute Zusammenarbeit auch formal zu unterstreichen und dies für die Öffentlichkeit deutlich zu machen“.
Im Jahr 2009 wurden im Südwesten (Wehrbereichskommando IV) elf Jugendoffiziere eingesetzt, diese erreichten in über 800 Veranstaltungen 17.000 SchülerInnen. Besonders kritisch an dieser Vereinbarung ist, dass LehrerInnen Aus-, Fort- und Weiterbildungen im Rahmen von Seminaren zur Sicherheitspolitik der Bundeswehr und Besuche in Bundeswehr-Einrichtungen angeboten werden. Außerdem soll es einen jährlichen Bericht geben wie die Vereinbarung umgesetzt wird.
Am 25. Februar 2010 wurde in Rheinland-Pfalz zum ersten Mal in einem SPD-geführten Bundesland so ein Kooperationsabkommen unterzeichnet. Durch die Unterzeichnung solcher Vereinbarungen wird die Zusammenarbeit Schritt für Schritt weiter ausgebaut und institutionalisiert.
d) All dies widerspricht dem Beutelsbacher Konsens!|25|
Diese ganze Vorgehensweise der Bundeswehr im Bereich Bildung widerspricht dem Beutelsbacher Konsens von 1976, der die Minimalbedingungen für politische Bildung festlegt, darunter drei Grundprinzipien:
Gemäß dem Überwältigungsverbot (auch: Indoktrinationsverbot) dürfen Lehrende SchülerInnen nicht ihre Meinung aufzwingen, sondern sollen SchülerInnen in die Lage versetzen, sich mit Hilfe des Unterrichts eine eigene Meinung bilden zu können. Dies ist der Zielsetzung der politischen Bildung geschuldet, die SchülerInnen zu mündigen BürgerInnen heranzubilden.
Das Gebot der Kontroversität (auch: Ausgewogenheit) zielt ebenfalls darauf ab, den SchülerInnen freie Meinungsbildung zu ermöglichen. Der Lehrende muss ein Thema kontrovers darstellen und diskutieren, wenn es in der Öffentlichkeit kontrovers erscheint. Seine eigene Meinung und seine politischen wie theoretischen Standpunkte sind dabei für den Unterricht unerheblich und dürfen nicht zur Überwältigung der SchülerInnen eingesetzt werden.
Das Prinzip Schülerorientierung soll SchülerInnen in die Lage versetzen, die politische Situation der Gesellschaft und ihre eigene Position zu analysieren und sich aktiv am politischen Prozess zu beteiligen, indem sie „nach Mitteln und Wegen [zu] suchen, die vorgefundene politische Lage im Sinne seiner/ihrer Interessen zu beeinflussen.“
Dieser Widerspruch stellt eine Interventionsmöglichkeit für SchülerInnen, LehrerInnen, Eltern und SchulleiterInnen dar, um Werbeveranstaltungen der Bundeswehr an ihren Bildungseinrichtungen zu verhindern.
Allerdings müssen wir darauf hinweisen, dass der Beutelsbacher Konsens keine rechtlich bindende Vereinbarung ist.
e) Karriere-Truck
Einen weiteren wichtigen Teil der Bundeswehr-Rekrutierung im Bereich Bildung stellt der „Karriere-Truck“, ein Sattelschlepper mit mobilem Kino, der Armeepropaganda in Form von Filmen zeigt. Unter anderem bei diversen Messen war der „Karriere-Truck“ präsent, 2009 war er in 40 Städten unterwegs, die Kosten beliefen sich auf 1,4 Millionen Euro.|26| Der Slogan lautet: „Sichern Sie sich einen von 20.000 Arbeitsplätzen“ und über dem Eingang steht geschrieben: „Entschieden gut – Gut entschieden“. Betreut wird der „Karriere-Truck“ von insgesamt 30 Mitarbeitern. Die Botschaft ist eindeutig: Auslandseinsätze werden als Abenteuer verkauft.
Im Jahr 2009 wurden im Rahmen der diversen „Karriere-Touren“ Gesprächskontakte in nachfolgenden Kategorien erhoben:
Qualitätskontakt“, d.h. Verpflichtung als Soldat innerhalb der nächsten 24 Monate: 3.360 Gespräche, in denen sich Jugendliche bereit erklärten innerhalb der angegebenen Zeit ihren Dienst anzutreten – fast eine Verdopplung im Vergleich zum Vorjahr.
Langfristkontakt“, d.h. dauerhafte Verbindungen wurde mit 5.278 Jugendlichen hergestellt.
Mit 23.839 Menschen gab es „Informationsgespräche“.|27|
Da es gegen den Einsatz des „Karriere-Trucks“ bundesweit viele kleinere Aktionen gab und die Bundeswehr ihren Truck fast nirgendwo störungsfrei aufstellen konnte, hat sie Ende 2009 zeitweise sämtliche Termine des Trucks aus dem Internet genommen. Ein kleiner Erfolg, an dem es anzusetzen gilt.
f) Messen
Für Werbeauftritte auf Messen, z.B. der „Familie und Heim“ (auch 2010 ist die Bundeswehr wieder mit dabei) oder auf Computerspielmessen, gab die Bundeswehr 2009 1,2 Millionen Euro aus.|28|  Dass Protest gegen solcherlei Werbung nicht umsonst ist, zeigt das Beispiel der Leipziger Buchmesse. Dort war die Bundeswehr bis im Jahr 2004 mit einem Werbestand vertreten, daraufhin gab es relativ große Proteste dagegen, sodass die Bundeswehr aktuell nicht mehr auf der Messe vertreten ist.
Sehr präsent ist die Bundeswehr vor allem auf Bildungs- und Jugendmessen wie „Startschuss Abi“. Das ist eine bundesweite Elite-Messe, bei der ein Abiturszeugnis zur Anmeldung erforderlich ist. In Stuttgart wird die Bundeswehr durch Jugendoffiziere der Militärakademie München vertreten, sie  werden auch im Herbst 2010 in Stuttgart auf der „Startschuss Abi“ dabei sein.
Auf der größten Bildungsmesse Deutschlands, den „Azubi- und Studientagen“, sind sie auch massiv vertreten, so landete beispielsweise am 05. November 2009 auf der Messe in Leipzig ein Militärhubschrauber.|29| In dem Stuttgarter Flyer für die Messe von 2009 war der Bundeswehr-Stand auf zwei von sechs Fotos abgebildet. Im Jahr 2010 werden die „Azubi- und Studientage“ am 07. und 08. Mai von 9 – 16 Uhr stattfinden.
Auch auf der größten Bildungsmesse Europas, der „Didacta“, vom 16. – 20. März in Köln, tummelten sich einige Jugendoffiziere.
Die Bundeswehr wirbt mit vielem: Stipendien mit einem Sold von 1.500 Euro monatlich ohne Studiengebühren, aber mit einer Verpflichtung für 12-14 Jahre, je nach Studiengang, und einem Jahr Auslandseinsatz.|30| Menschen auf der Suche nach „normalen“ Jobs, wie z.B. KFZ-Schlosser, werden mit einer Ausbildungsvergütung von 1.200 Euro monatlich geködert und auf 12 Jahre verpflichtet, dazu müssen sie ebenfalls ein Jahr im Ausland absolvieren. Kurz gesagt sucht die Bundeswehr Menschen, die sich in ökonomisch schwierigen Situationen befinden und sich durch die sichere Geldquelle Bundeswehr ködern lassen. Sie sucht Menschen, die aufgrund ihrer Situation gezwungen sind, sich selbst zu weit schlimmeren Bedingungen als in der Wirtschaft, z.B. unter Lebensgefahr und starker psychischer Belastung, zu verkaufen.
Auch die Zusammenarbeit der Bundeswehr mit Universitäten wird ausgebaut, vor allem im Bereich Militärforschung und in Form von Vorträgen der Bundeswehr an Hochschulen. So hat die Bundesregierung im Jahr 2008 1,1 Milliarden Euro gezahlt, damit an Hochschulen und den ihnen angegliederten Instituten Rüstungsforschung betrieben wird. Insgesamt führen 27 Hochschulen in zehn Bundesländern derartige Projekte durch, auch einschlägige Forschungseinrichtungen wie das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) oder die Fraunhofer Gesellschaft bekommen Aufträge. Die Forschungsprojekte reichen von der Entwicklung besserer Panzerungen über wehrpsychologische Projekte bis hin zu sozialwissenschaftlicher Forschung.|31| Ein Beispiel hierfür ist die Zusammenarbeit der Universität Stuttgart mit dem Unternehmen Eurocopter, das vorrangig Militärhubschrauber produziert und 25% Weltmarktanteil hat.|32|
Den Projekten ist jedoch nicht immer am Titel anzusehen, dass es sich dabei um bundeswehrrelevante Forschung handelt. An vielen Hochschulen ist weder den Studierenden noch den MitarbeiterInnen bewusst, dass nebenan für den Krieg geforscht wird.
An einigen Universitäten verstößt die Rüstungsforschung auch gegen die Satzung, weil dort aufgrund der Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs eine Friedensklausel verankert wurde, die wehrtechnische Forschung verbietet, wie z.B. am Forschungszentrum Karlsruhe. Hier soll die Universität aber mit dem ehemaligen Kernforschungszentrum „Karlsruhe Institute of Technology (KIT)“ verschmolzen werden, an dem ebenfalls Rüstungsforschung stattfindet und damit die Friedensklausel aushebelt.
g) Jugend/Freizeit
Auch bei Freizeiten, Sport- und Musikveranstaltungen für Jugendliche hat die Bundeswehr ihr Angebot stark ausgebaut. So beteiligt sie sich am bundesweiten „GirlsDay“ und bietet im Rahmen der Sommer-Uni z.B. Computerseminare für 12-14-jährige Mädchen an. Diese finden in den Räumen der Bundeswehr-Uni München statt. Außerdem finden in der Bundeswehruniversität München regelmäßig Veranstaltungen der Kinderuniversität in Zusammenarbeit mit der VHS Neubiberg-Ottobrunn statt.|33| Dies zeigt, dass die Bundeswehr bereits in diesem jungen Alter Kinder für das Militär zu interessieren versucht.
Bei „treff.aktiv“, der Jugendhomepage der Bundeswehr, wird die Begeisterung von vielen Jugendlichen für Technik ausgenutzt, um ihnen die Bundeswehr näher zu bringen. So gibt es Online-Spiele, Besuche von Kasernen, ein fünftägiges Sommercamp bei der Marine und Gewinnspiele mit Preisen wie einer Sardinienreise mit der Luftwaffe oder einer Bergtour mit den Gebirgsjägern. Ob die Kinder deren Mutproben mitmachen mussten ist bisher nicht bekannt.
Bei Sportveranstaltungen lädt die Bundeswehr junge SportlerInnen ein, finanziert alles und bringt ihre Propaganda unter die Jugendlichen. So beispielsweise bei den „BW-Olympix“, die das letzte Mal im Jahr 2008 in den Disziplinen Beachvolleyball, Minisoccer, Streetball und Beachhandball ausgetragen wurden. 1.200 Jugendliche nahmen am Finale in Warendorf teil, Voraussetzung dafür, wie für die Teilnahme an jeder Veranstaltung der Bundeswehr, ist die deutsche Staatsbürgerschaft.
Auch am „BW-Beachen“, einem Beachvolleyballturnier für 16- und 17-jährige, nahmen 2009 über 1.200 Jugendliche teil.|34|
Beim „BW-Adventure-Games“ erhalten Jugendliche über mehr als zwei Tage die Möglichkeit, eine Ausbildung zum Einzelkämpfer zu absolvieren. Diese Veranstaltung wurde 2009 in Kooperation mit der Zeitschrift „Bravo“ veranstaltet. Laut Zitat von der Homepage treff.bundeswehr hatte die Bundeswehr „[….] wieder 30 Jungs und Mädchen aus ganz Deutschland nach Oberbayern eingeladen und ihnen Einblicke ins Ausbildungscamp der Einzelkämpfer ermöglicht: Im eigenen Adventurecamp hieß es dann Wettkampf und Action pur. Alle Bewerber und Bewerberinnen mussten zuvor ihre körperliche Fitness unter Beweis stellen. Und das war auch gut so, denn die zweieinhalb Tage im „Sauwald“ hatten es in sich.“|35| Bemerkenswert ist, dass selbst hier erst Jungen und dann Mädchen erwähnt werden, wie es in so gut wie allen Bundeswehr-Publikationen Standard ist. Dieses Jahr findet das Camp in den Sommerferien in Eckernförde statt, der Kostenpunkt für die Bundeswehr liegt bei 12.000 Euro.|36|
Beim Jugendblasorchester „BW-Musix“ treten Jugendliche für Preisgeld im Wert von 12.000 Euro gegeneinander an.|37| Im Jahr 2003 trat Jeanette Biedermann dort auf, im Jahr 2008 waren es 1.300 Teilnehmer, 2009 fand das BW-Musix in Balingen statt. Dort gab es Protest gegen die Veranstaltung: ver.di schrieb einen Brief an den Oberbürgermeister, die Lehrkräfte der Musikschule intervenierten gegen Werbung für das „BW-Musix“ auf ihrer Website, daraufhin wurde die Werbung von der Seite genommen.|38| Im Jahr 2010 wird das „BW-Musix“ vom 22. – 24. Oktober wieder in Balingen stattfinden, die Bundeswehr rechnet mit 1.000 TeilnehmerInnen. Im Flyer für das „BW-Musix“ steht als Ansprechpartner das Zentrum für Nachwuchsgewinnung Ost, nur damit klar ist, worum es der Bundeswehr dabei geht.
Regelmäßig, im Schnitt alle zwei Monate, führt die Bundeswehr Jugendpressekongresse durch. Mitte September 2009 fand der mittlerweile 100. Jugendpressekongress in der Marinetechnikschule Parow statt. Über 130 Schülerzeitungsredakteure wurden vom Jugendmarketing der Bundeswehr eingeladen, um gemeinsam mit ARD und ZDF das Leitthema „Zukunft Marine – Perspektiven für junge Leute“|39| zu behandeln. Auf diesen Kongressen kann die Armee gleich doppelt profitieren: Die SchülerInnen berichten bundeswehrfreundlich von dem Kongress und gleichzeitig knüpfen sie Kontakte, durch die sie Anzeigen in den Schülerzeitungen schalten können. 2008 konnten sie in über 170 Schülerzeitungen Werbung schalten! Auch in der bundesweit erscheinenden Schülerzeitung „Spießer“ (Auflage: 1 Million Exemplare) warb die Bundeswehr mehrmals, auch im Heft vom Februar 2010 (vorletzte Seite).|40|
(5) Arbeitsagenturen
Der deutlichste Zuwachs an Rekrutierungmaßnahmen findet wohl in den Arbeitsagenturen bundesweit statt. Es gibt Abkommen zwischen Arbeitsagenturen und der Bundeswehr, z.B. in Leipzig, Köln, Freiburg und Magdeburg, in vielen Städten gibt es bereits dauerhafte Büros der Bundeswehr in der Arbeitsagentur, so z.B. in Mainz, Essen, Balingen, Heilbronn, Konstanz und Tübingen.
Wehrdienstberater Ohland fasst die Aufgaben dieser Außenposten kurz und prägnant zusammen: „In Zeiten der Wirtschaftskrise bietet die Bundeswehr einen sicheren Arbeitsplatz ohne Kurzarbeit, ohne Verlegung des Arbeitsplatzes und ohne Kündigungen.“|41| Wir verweisen auf die Auslandseinsätze und Toten der Bundeswehr, damit sollte zu diesem Zitat alles gesagt sein.
Diesem Zitat liegt der schon lange bekannte Fakt zugrunde, dass bei wirtschaftlichen Krisen und dem damit verbundenen Anstieg von Armut und Arbeitslosigkeit die Zahl der Rekrutierungswilligen steigt. Dafür sind mehrere Faktoren verantwortlich: Der wichtigste ist Hartz IV, das einerseits über die so genannte „Stallpflicht“ Jugendlichen untersagt, von zu Hause wegzuziehen, falls sie nicht ohne staatliche Unterstützung ihren Lebensunterhalt sichern können. Deshalb gaben 40% Prozent der Jugendlichen 2003 bei einer Umfrage an, dass sie sich bei der Bundeswehr verpflichten lassen würden, nur um endlich zu Hause ausziehen zu können.|42|
Andererseits verschärft Hartz IV die Situation für Arbeitslose, besonders betroffen davon sind Jugendliche, die genau die Zielgruppe der Bundeswehr darstellen. Durch Armut, Sozialleistungskürzungen, Jobmangel und vielen weiteren gesellschaftlichen Problemen entsteht bei vielen Menschen eine Perspektivlosigkeit. Je mehr Arbeitslose es gibt, je schlechter die Wirtschaftslage und die soziale Absicherung ist, desto mehr junge Menschen melden sich freiwillig zum Militär. Dazu sagt Herr Louven vom Zentrum für Nachwuchsgewinnung Nord: „Und das nutzen wir auch aus“.|43|
Das beste Beispiel hierfür ist das Militär der USA, das dank der hohen Jugendarbeitslosigkeit und der Wirtschaftskrise in den USA einen enormen Rekrutierungszulauf und trotz ihrer weltweiten „personalintensiven“ Kriegseinsätze keine Personalsorgen hat.
Vor allem in den Gebieten in Deutschland mit hoher Arbeitslosigkeit ist die Bundeswehr aktiv, drei von fünf der Werbeshows „50 Jahre Bundeswehr“ fanden im Osten Deutschlands statt. Die Zahlen der Soldaten aus Ost- und Westdeutschland sind dementsprechend: 49,1% aller Soldaten im Auslandseinsatz sind Ostdeutsche (Juli 2009), bei einer Bevölkerungsverteilung in Deutschland von 80% Westdeutschen und 20% Ostdeutschen. Auch in der Bundeswehr-Hierarchie schlägt die hohe Arbeitslosigkeit auf die Verhältnisse durch: Bei den Stabsoffizieren kommen nur 16,6% aus Ostdeutschland, bei der Mannschaft sind es 62,5%. 13 von 35 toten deutschen Soldaten kamen aus dem Osten.|44|
Auch die Anforderungen für BewerberInnen wurden, wie oben bereits beschrieben, auf psychischer Ebene stark heruntergeschraubt. Zudem ist vielen Soldaten im Auslandseinsatz unklar, wofür sie ihr Leben eigentlich riskieren, da sie genau erleben, dass ihr Einsatz nicht mit der Propaganda aus der deutschen Politik und Wirtschaft übereinstimmt, sie keine Schulen und Brunnen bauen, sondern Krieg gegen die dortige Bevölkerung führen. Aus dieser Unsicherheit und aus der „normalen“ Barbarei eines Krieges können starke psychische Belastungen entstehen. So hat sich die Zahl der Heimkehrenden mit „Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS)“ von 2003 bis 2006 verdreifacht.|45|
Generell spiegelt sich diese Tatsache, dass Militärrekrutierungen von schlechten Wirtschaftslagen und sozialen Problemen in der Gesellschaft profitieren, auch in den Zustimmungsraten zu Auslandseinsätzen wieder: Während die große Mehrheit der einkommensstarken Schichten, die es nicht nötig haben sich oder ihre Kinder bei der Bundeswehr zu verpflichten, für Auslandseinsätze plädiert, sieht es bei den einkommensschwachen Schichten genau umgekehrt aus. Und das natürlich, weil die reichen Schichten wie eh und je nicht die Soldaten stellen, sondern die Ärmeren!
Es gilt, lokal den Widerstand gegen Rekrutierungen der Bundeswehr im Speziellen und gegen die weitere Militarisierung unserer Gesellschaft im Allgemeinen auszubauen und zu verankern. Nur mit kontinuierlicher Arbeit, Information und Aktionen lässt sich etwas verändern, denn abgeleitet aus diesem Vortrag bleibt nur die Schlussfolgerung:
Die Kriege finden außerhalb Deutschlands statt, aber die Menschen die töten werden hier geworben. Lasst uns diese Werbung stören und stoppen!

April 2010
Offenes Treffen gegen Krieg und Militarisierung Stuttgart (OTKM)
Mehr Infos und Kontakt: www.otkm.tk oder ot-gegenkrieg[at]gmx.de