Erschreckend aber keineswegs überraschend: nicht der Krieg in Afghanistan, das Kriegsverbrechen von Kunduz, die Beihilfe zur gezielten Tötung durch die Bundeswehr, die Transformation der Truppe zu einer Kriegsarmee oder die forcierte Anwerbung von Jugendlichen an Schulen haben zum vorläufigen Karriereende des ehemaligen Bundeskriegsministers zu Guttenbergs geführt, sondern die Plagiate in seiner Doktorarbeit. Am 3. März 2011 hat Thomas de Maizière die Geschäfte des Dienstherrn der Bundeswehr übernommen. Soweit bislang ersichtlich, dürften die Eckpunkte der Strukturreform der Bundeswehr, die im Wesentlichen auf eine effizientere Kriegführung und keineswegs auf die Einsparung von Kosten abzielt[1], trotz des Führungswechsels im Ministerium beibehalten werden. Dies gilt auch für die Abschaffung der Wehrpflicht und der unter anderem durch sie ausgelösten Rekrutierungsoffensive der Bundeswehr.

Der neue Minister und die Bundeswehrreform
Auch wenn der neue Minister in seinem ersten Tagesbefehl an die Soldaten betont, er werde eine „gründliche Lagefeststellung“ durchführen und sich „die Zeit, die ich brauche“[2], nehmen, gibt es nur wenige Anhaltspunkte zu glauben, dass die Bundeswehr der „größten Umstrukturierung ihrer Geschichte“[3] noch entgeht.[4] Allein die Entlassung Walther Otrembas, bis dato Staatssekretär im Verteidigungsministerium und zuständig für die Umsetzung der Strukturreform der Bundeswehr, ist kein hinreichender Indikator für einen Kurswechsel. Die Aussagen des stellvertretenden Ministeriumssprechers Christian Dienst sind aufschlussreicher. Er sagte, de Maizière behalte sich „bestimmte Streckungen, Kürzungen oder leichte Richtungsänderungen“[5] vor. Es wird sich also allenfalls in Nuancen etwas ändern. Dementsprechend versicherte der Verteidigungsminister, er werde die „begonnene Reform konsequent fortsetzen“[6].
Zu dieser Reform gehört auch der Umbau der Bundeswehr zu einer Freiwilligen- und Berufsarmee. Diese Professionalisierung ist zwar eine wichtige Voraussetzung für „schlagkräftigere“ Militärinterventionen, bedeutet unter anderem aber auch, dass die Bundeswehr und das Bundesverteidigungsministerium ihre Rekrutierungsbemühungen deutlich intensivieren müssen, um an ausreichend Truppennachwuchs zu gelangen.[7]

Akute Nachwuchsprobleme

Wie groß die Probleme der Bundeswehr sind, Jugendliche für den Dienst an der Waffe zu gewinnen, belegen Zahlen, die nach und nach an die Öffentlichkeit gelangen. Laut FAZ hat die Armee zu Beginn des Jahres ca. 160.000 Männer angeschrieben, von denen die Hälfte sogar schon gemustert wurde. Nur 4.000 bekundeten daraufhin Interesse – verpflichtet haben sie sich aber zu nichts. Auch die 3.000 Wehrdienstleistenden, die die Militärs zum 1. April benötigen, müssen sich erst noch einschreiben. Bisher – Stand Ende Februar – haben sich erst weniger als 500 gemeldet. Selbst die Bundeswehr bezeichnete die Reaktionen der Jugendlichen auf ihre Angebote derzeit als „nicht sehr ermutigend“.[8]
Dementsprechend hat die Bundeswehr allen Anlass, ihre geplante Werbe- und Rekrutierungsoffensive umzusetzen und gegebenenfalls aufzurüsten. Der Wehrbeauftragte des Bundestags, Hellmut Königshaus (FDP), sagte im Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“: „Das Produkt selbst muss attraktiver werden, nicht das Schaufenster“, denn „im Moment ist die Bundeswehr keine attraktive Armee“.[9] Und der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbands, Ulrich Kirsch, forderte: „Die Bundeswehr muss ermächtigt werden, attraktive Angebote zu machen, bevor am 1. Juli hoffentlich das Wehrrechtsänderungsgesetz in Kraft tritt.“[10] Horst Seehofer dringt sogar darauf, noch „mehr Geld in die Anwerbung von Nachwuchskräften für die Truppe“[11] zu stecken.
Zwei Seiten derselben Medaille: Maßnahmenpaket und Medienoffensive
Im Wesentlichen basieren die aktuellen Initiativen der Bundeswehr, neues Personal anzuwerben und zu halten, auf zwei Säulen. Die eine ist Teil der Bundeswehrstrukturreform und besteht aus dem sogenannten „Maßnahmenpaket zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes in der Bundeswehr“[12], das der Staatssekretär im Verteidigungsministerium Rüdiger Wolf im Januar diesen Jahres erlassen hat. Die andere Säule bilden die deutlich erhöhten Ausgaben für Reklameeinsätze der Bundeswehr und die „Medienkampagne zur Nachwuchsgewinnung“ in Kooperation mit diversen Zeitungen, Radiosendern und Fernsehstationen.
Das Maßnahmenpaket zur Attraktivitätssteigerung des Kriegsdienstes ist ein 37 Seiten starkes Papier, mit dem 82 Reformvorschläge in den drei Bereichen „Ansehen der Bundeswehr als Organisation und als Arbeitgeber“, „Bundeswehr als Ausbildungsinstitution“ und „Materielle und soziale Rahmenbedingungen“ gemacht werden. Den Fokus der Personalgewinnung und -bindung legen die Bundeswehrplaner auf die Mannschaftslaufbahnen und den Freiwilligen Wehrdienst, d.h. auf die unteren Dienstgrade. Dementsprechend ist das Gros der Empfehlungen auf junge Menschen mit durchschnittlichen und geringen Qualifikationen zugeschnitten. Sie richten sich aber auch an Jugendliche, Migranten sowie an Soldaten, die bereits im Dienst sind und deren Perspektiven in der Bundeswehr verbessert werden sollen.
Dafür will die Bundeswehr ihre bislang eingesetzten Mittel und Verfahren zur Personalwerbung optimieren, indem sie eine „mit entsprechenden personellen und materiellen Ressourcen ausgestattete Personalgewinnungsorganisation“ schafft. Diese soll zudem die Schwächen der bisherigen Personalgewinnung – lange Wartezeiten und große Entfernung zu den Büros der Wehrdienstberater – beheben.
Um neue Teile der Bevölkerung für den Dienst an der Waffen zu erschließen, sollen nicht nur leichte Aufstiegsmöglichkeiten eingerichtet, sondern auch die Höchstaltersgrenzen für den Einstieg in die militärische Laufbahn abgeschafft werden.
Anders als bisher legt die Bundeswehr nicht mehr ihren Schwerpunkt darauf, Jugendliche mit hohen Qualifikationen anzuwerben. Nun will sie auch „junge Menschen mit unterdurchschnittlicher schulischer Bildung bzw. ohne Schulabschluss“ und „Inländern mit Migrationshintergrund (ohne deutsche Staatsbürgerschaft)“ für sich gewinnen. Diese sollen durch vielschichtige, flexible, individuell zugeschnittene Aus-, Fort- und Weiterbildungsangebote die notwendigen Fähigkeiten in Eigenregie vermitteln, die die Bundeswehr benötigt.
Für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf beabsichtigt die Armee zudem z.B., 1.000 Kinderbetreuungsplätze und Betriebskindergärten einzurichten. Zugleich werden diverse finanzielle Verbesserungen in Aussicht gestellt, etwa durch erhöhte bzw. neu einzuführende „Stellen- und Erschwerniszulagen“ oder Prämien zur Personalgewinnung und Personalbindung.
Wie ernst es die Bundeswehr mit der Nachwuchsgewinnung und -bindung meint, geht auch aus den Antworten auf eine Anfrage der Bundestagsfraktion DIE LINKE hervor. Sie enthüllen, dass die Bundeswehr bereits, wie vom CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer eingefordert, mehr Geld für die Attraktivitätssteigerung des Dienstes an der Waffe erhält. Der Etat zur Nachwuchswerbung ist zwischen 2009 und 2011 um knapp 50 Prozent auf über 10 Millionen Euro pro Jahr erhöht worden. Das Verteidigungsministerium sprach noch vor kurzem lediglich von 4,8 Millionen Euro für das Jahr 2011. Dabei ist zu beachten, dass klassische Reklame- und „Informations“-Tätigkeiten, wie sie etwa Jugendoffiziere an Schulen machen, in den genannten Aufstellungen noch nicht einmal berücksichtigt worden sind, sodass die realen finanziellen Aufwendungen zur Nachwuchsgewinnung noch deutlich über den genannten 10 Millionen Euro liegen.
Insbesondere die Ausgaben für Anzeigen in Print- und Internetmedien (YouTube und flickr) sowie im Fernsehen sind aufgrund der Verschiebung des Werbeschwerpunkts auf diese Medien noch einmal signifikant angestiegen. Insgesamt, so ist dem Maßnahmenpapier zu entnehmen, soll die Medienpräsenz des deutschen Militärs deutlich zunehmen. Allein für „personalwerbliche Anzeigen“ plant die Bundeswehr für das Jahr 2011 knapp 5,7 Millionen Euro ein. Besonders das „kostenintensive Medium Fernsehen“ – gemäß eigenen Angaben will die Bundeswehr 2011 1,4 Millionen Euro im Vergleich zu 5.700 Euro 2009 für Fernsehwerbung ausgeben – sowie das Internet werden konsequent vermehrt zur Reklame, Darstellung und Rekrutierung genutzt.
Aber auch die klassischen Rekrutierungs- und Werbemaßnahmen sind finanziell hervorragend ausgestattet. 2010 wurden knapp 2,4 Millionen Euro nur für die Anwesenheit der Bundeswehr bei Messen, Ausstellungen und ähnlichen Veranstaltungen ausgeschüttet und ein wenig mehr als 1,3 Millionen Euro für den KarriereTreff Bundeswehr im selben Jahr ausgegeben. Ca. 600.000 Euro verschlingt allein die Jugendsportförderung und nur für Jugendpressekongresse sind im Jahr 2010 280.000 Euro aufgebracht worden. Selbst der Etat für traditionelle öffentliche Auftritte wie Zapfenstreiche ist einmal mehr erhöht worden.[13]
Die zeitgleich zur Aussetzung der Wehrpflicht zu Beginn des Jahres 2011 initiierte dreistufige „Medienkampagne zur Nachwuchsgewinnung“ im Fernsehen, in Radio-, Print- und Onlinemedien rundet die Reklameoffensive der Bundeswehr ab. Von Januar bis einschließlich März wird die Fähigkeit der Bundeswehr beworben, trotz Wegfall der Wehrpflicht ein guter Arbeitgeber zu sein. Im April werden gezielt die Mannschaftslaufbahnen und der neue Freiwilligendienst unter dem Motto „Chance statt Pflicht“[14] angepriesen. Für den Rest Jahres „erweitert die Bundeswehr das Spektrum der Nachwuchswerbung“ und wirbt „regional und über verschiedene Medien für die Tätigkeiten in der Mannschaftslaufbahn sowie konkrete Verwendungsmöglichkeiten im lokalen Umfeld“.
Bereits jetzt steht fest, dass die Bundeswehr neben Radiosendern wie Hit-Radio Antenne Niedersachsen, RPR1, Radio Hamburg, den Fernsehsendern Kabel 1 und ProSieben auch die Zeitungen Bild und Bild am Sonntag sowie den Onlineauftritt www.bild.de nutzen wird.[15] Der Springerkonzern soll laut Bundeswehr allein in den ersten vier Wochen bereits 600.000 Euro für die Unterstützung der Rekrutierungskampagne erhalten – pikante Details, wenn man berücksichtigt, dass genau diese Medien dem ehemaligen Verteidigungsminister in seiner schwersten Krise den Rücken gestärkt haben.
Dass die Bundeswehr bei ihrer Rekrutierungskampagne auf Nummer sicher gehen will, dokumentiert die Kooperation mit der Düsseldorfer Agentur Zenithmedia GmbH zur „Konzipierung der Kommunikationsmaßnahmen“[16] zur Anwerbung Jugendlicher. Seit 2009 hat sie jährlich 244.000 Euro aus dem Haushalt des Verteidigungsministeriums erhalten.
Neuer Minister, alte Ziele: Rekrutieren für den Krieg
Da auch unter dem neuen Verteidigungsminister Thomas de Maizière nicht davon auszugehen ist, dass etwa die Aussetzung der Wehrpflicht rückgängig gemacht wird, dürfte ebenso sicher sein, dass die Kriegsplaner auch nicht auf den geplanten Werbefeldzug verzichten werden. Selbst wenn de Maizière seine Ankündigung wahr machte und einige leichte Veränderungen an der Bundeswehrreform vornehmen sollte, benötigt die Armee im Kriegseinsatz weiterhin neue Rekruten. Das abrupte Ende der Wehrpflicht ist lediglich der Katalysator für einen ohnehin bestehenden Trend gewesen, der das Problem der Nachwuchsrekrutierung schneller als erwartet an die Oberfläche gespült hat. Der neue Minister im Bendlerblock wird Antworten liefern, aber ein grundlegender Bruch mit der derzeitigen Charme-Offensive der Bundeswehr ist keineswegs zu erwarten. Denn auch Thomas de Maizière scheint den Leitsatz der Bundeswehr-Strukturreform verinnerlicht zu haben: „Vom Einsatz her denken“[17].