http://antimilitarismus.blogsport.de/images/lovebomb.jpgDer Krieg den alle lieben
Wenn man in diesen Tagen Tagesschau guckt, Zeitungen oder indymedia liest, kann man sich schon wundern. Da fangen einige westliche Staaten an, ein Land an der Grenze Europas zu bombardieren und (fast) alle scheinen es super zu finden. Da übernimmt die NATO den Oberbefehl und das einzige Problem scheint zu sein, dass Deutschland nicht auch noch diesen Krieg führt.
Ein Krieg den alle lieben?

Aufstand, Revolution, Bürgerkrieg, NATO-Krieg?!
Wir wollen hier gar keinen Hehl daraus machen, dass auch wir relativ wenig über die Geschichte und die aktuelle Situation Libyens wissen. Es mussten erst Aufstände und Revolutionen in vielen arabischen Staaten losbrechen, in Libyen ein Bürgerkrieg wüten und eine „Koalition der Willigen“ unter Führung der NATO das Land bombardieren damit wir uns mit der Lage in den arabischen Ländern beschäftigen – bzw. vor allem mit der ratlosen Positionierung der radikalen Linken dazu. Es wäre schon schlimm genug, wenn sie nicht in der Lage wäre, Antworten auf drängende Fragen zu geben. Sie stellt aber noch nicht einmal die notwendigen Fragen.

Umso mehr verwundert die Bereitschaft Einiger, die eigene Positionslosigkeit durch ein unkritisches Übernehmen der, von der „Koalition der Willigen“ und nahezu allen bürgerlichen Medien betriebenen, Kriegstreiberei zu überdecken.
Wir fühlen uns den Aufständischen in den arabischen Ländern verbunden aber auch unserer radikalen Kritik an der, seit dem Kolonialismus anhaltenden und immer schon kriegerisch verteidigten, Dominanz Europas und der USA, verpflichtet.
In Libyen stellt sich die Situation anders da als in Tunesien oder Ägypten. Kein geordneter Wandel unter einer dem früheren Herrschaftssystem verbundenen Übergangsregierung oder der Armee.
Stattdessen ein Bürgerkrieg, den die Rebellen mit Unterstützung der NATO wohl früher oder später gewinnen werden.

Libyen – Was war eigentlich vor dem 17. Februar 2011?
Bereits 1911 besetzte Italien weite Teile Libyens. Allerdings gab es noch Jahrzehnte lang erbitterten Widerstand gegen die Kolonialisierung. Die Faschisten unter Mussolini erklärten es zu ihrer historischen Aufgabe, die italienische Niederlage gegen die äthiopische Armee von 1896 wieder gutzumachen und (Nord-)Afrika unter italienische, weiße Kontrolle zu bringen. Deshalb wurde Libyen bis zur Niederlage der Italiener im 2. Weltkrieg mit einem blutigen Kolonialkrieg überzogen.
Anschließen stand das Land unter UN-Kontrolle und wurde 1951 offiziell unabhängig.
Mit freundlichen Unterstützung der Briten und der US-Amerikaner kam König Idris an die Macht, begann staatliche Strukturen aufzubauen und verkaufte ab 1959 Erdöl.
Zehn Jahre später putschte eine Gruppe Generäle, schaffte die Monarchie ab, schmiss die westlichen Armeen und Konzerne aus dem Land, verstaatlichte z.B. das Erdöl und orientierte sich zunächst am arabischen Sozialismus Nassers aus Ägypten.

Diese antikolonialen Bestrebungen, machten den nun herrschenden Gaddafi jahrzehntelang zu einem Feind der westlichen Staaten. Die Unterstützung von – je nach Lesart – nationalen Befreiungsbewegungen und antiimperialistischen Gruppen – oder eben terroristischen Gruppen – steigerte die Feindschaft. Doch selbst die Bombardierung Tripolis durch die USA in den 1980ern konnte Gaddafi nicht stürzen. Erst die jahrelange politische und wirtschaftliche Isolation Libyens führte zu einer Änderung der außenpolitischen Leitlinien des Gaddafi-Clans hin zu einer Verfechtung der Afrikanischen Union (nach europäischem Vorbild) und schließlich zum islamischen Panarabismus.

In den vergangenen 10 Jahren wurde Libyen schließlich von der Liste der sog. Terrorstaaten gestrichen und die wirtschaftliche Sanktionen wurden aufgehoben. Von nun an galt Gaddafi als geläutert und pflegte enge Freundschaften mit der EU und einzelnen Staatschefs und Politikern (z.B. Berlusconi, Sarkozy!, Haider). Der Diktator hatte, was die EU wollte – nämlich Öl und Gas. Die EU sieht Nordafrika als zukünftig wichtigsten Energielieferanten neben Russland. Außerdem konnte er Flüchtlinge zurückhalten oder Abgeschobene aufnehmen und sie skrupellos der Wüste überlassen. Er wurde zu einem der wichtigsten Verbündeten der EU im Maghreb, lieferte Öl und bewachte die Grenzen. Dafür bekam er Milliarden von Euros, Waffen und Know-How.

Selbstverständlich nutzte er Geld und Waffen vor allem um seine Herrschaft nach Innen polizeistaatlich und militärisch abzusichern. Denn obwohl Libyen formal eine Basisdemokratie und Gaddafi ohne Amt im Staate ist, herrschte er seit langem diktatorisch, ließ Oppositionelle massenhaft töten und einkerkern und sicherte seine Herrschaft vor allem durch eine geschickte Stammespolitik und die Verteilung der Macht an seine Kinder. Die gesellschaftlichen Errungenschaften der ersten Jahre (ein funktionierendes Gesundheitswesen, formale Gleichberechtigung der Frauen, Ausbau des Bildungssystems und relative ökonomische Sicherheit) erstickten unter der selbstverliebten Machtsucht des Herrschers und seines Clans.

Aber Libyen war einer dieser arabischen Staaten und Gaddafi einer dieser zuverlässigen Herrscher. Eine Diktatur ist halt eine Diktatur. Eine Diktatur, die der EU nützt, ist eine nützliche Diktatur – kein Grund zur Aufregung, solange Stabilität garantiert wird.

In Deutschland und den anderen EU-Staaten interessierte sich eigentlich niemand, außer den Geopolitiker_innen und Energiekonzernen, für Libyen, wie auch für die restlichen arabischen Diktaturen. Okay der Iran, der war irgendwie schon immer böse, aber schließlich handelt es sich doch wohl um eine vollkommen irre Mullahdiktatur und nicht um eine zivilisierte, prowestliche Diktatur.

Auch in der (radikalen) Linken in der BRD wurde die Situation in den arabischen Ländern oder speziell die in Libyen nicht thematisiert. Ausgenommen ein paar Antira-Gruppen in deren Publikationen Libyen erwähnt wurde, aber da ging es dann meist um Verträge mit der EU zur Flüchtlingsrücknahme und Kooperation mit der EU-Grenzschutzagentur FRONTEX. Die Situation der libyschen Bevölkerung oder gar die Unterstützung einer möglichen Opposition gegen die Diktatur war in der radikalen Linken nie ein Thema.

Und plötzlich ändern sich die erzeugten Bilder
Es ist aufschlussreich zu beobachten, wie schnell ein und den selben Menschen und ein und der selben Handlung, je nach Kontext und Interessenlage, andere Rollen und Wertungen zugeschrieben werden.
Während die Menschen in Ägypten und Tunesien bis vor kurzem vor allem als gute Gastgeber bzw. Touristenführer wahrgenommen wurden, aber nicht als Opfer jahrzehntelanger diktatorischer Unterdrückung, sie also auch keiner Befreiung bedurften, sind sie nun Akteur_innen einer Demokratiebewegung. Der Sprung gelingt scheinbar ohne Mühe und Irritation.

Die Iraker und Afghaninnen brauchten dagegen schon lange dringend die Befreiung durch den Westen. Dass es eventuell politische Positionen geben könnte, die sich weder für die (prowestliche) Diktatur, noch für politischen Islamismus, noch für Demokratie nach westlichem Vorbild aussprechen, können sich Viele anscheinend gar nicht vorstellen.
Die westlichen Regierungen wissen jedoch um die politische Heterogenität der nordafrikanischen Staaten und bekommen nun Angst die Kontrolle zu verlieren.

Also müssen die diversen politischen, ethnischen und religiösen Strömungen, die in den verschiedenen arabischen Ländern zudem noch sehr unterschiedlich geprägt sind, schnell zu einer Demokratiebewegung umgedeutet werden.

Selbst bürgerliche Medien merken an, dass in Bezug auf die Frage, ob bewaffnete Aufständische als Zivilisten gelten können, von der NATO nur ausweichende Antworten zu bekommen sind. Denn nur zu deren „Schutz“ hat die UN das Mandat Nr. 1973 geschaffen.

Während Leute, die Polizeiwachen anzünden, Waffenlager plündern, zunächst mit Kalaschnikovs und später auch mit schweren Waffen die staatliche Ordnung und ihre Hüter angreifen, nun also in Libyen zu einer schutzbedürftigen, friedlichen und zivilen Bewegung für Demokratie uminterpretiert werden, sind Leute, die das Selbe in Afghanistan oder dem Irak tun, Terroristen. In demokratischen Staaten würden Proteste übrigens niemals unterdrückt werden. In Deutschland können wir, vollkommen unbehelligt vom Staat, Polizeiwachen anzünden und Bundeswehrdepots plündern. Auch in der Türkei/Kurdistan kämpft eine Bewegung friedlich für Demokratie und niemand würde auf die Idee kommen, sie militärisch zu bekämpfen.

Versteht uns nicht falsch. Es ist zweifellos richtig, die Diktatur Gaddafis zu stürzen. Auch wir sind schockiert von den Bildern und Meldungen über die brutalen Versuche, die Aufstände in Tunesien, Ägypten, Libyen, Syrien, Barhain und vielen anderen Staaten niederzuschlagen.
Wir fühlen uns mit den Aufständischen in Libyen verbunden, weil es richtig ist, eine Diktatur zu stürzen und es legitim ist, dazu Waffen in die Hand zu nehmen.

Ebenso wäre es z.B. richtig, die grausame Diktatur in Saudi-Arabien zu bekämpfen. Das bliebe aber richtiger Weise Aufgabe emanzipatorischer Bewegungen – die NATO-Staaten haben ohnehin kein Interesse daran. Auch ist es richtig, Widerstand gegen die Besatzung in Afghanistan zu organisieren. Ebenso ist es legitim, dass Somalis, deren Existenzsicherung wesentlich von der EU zerstört wurde, Waffen in die Hand nehmen, um Piraterie zu betreiben.

Alleine aus dieser kleinen, noch lange fortzusetzenden Aufzählung wird deutlich, dass existierende (bewaffnete) Kämpfe und Widerstand immer wieder sowohl unsere Solidarität beanspruchen, als auch kritisch hinterfragt werden müssen.
Falls es noch klargestellt werden muss: die Frage der Legitimität von (bewaffnetem) Widerstand bemisst sich für uns nicht nach dem Maß der Legalität oder internationaler Kräfteverhältnisse.

Wir warnen davor, auf die Propaganda der/einiger NATO-Staaten hereinzufallen. Ängste vor den Islamisten und politischer und ökonomischer Instabilität, die bezeichnender Weise nur in Bezug auf Ägypten und Tunesien von westlichen Regierungen und den meisten Medien geschürt wurden, teilen wir nicht, denn ihr Vorbringen ist vor allem ein Ausdruck der Verschleierung hegemonialer Bestrebungen. Der Sturz einer Diktatur kann gar nicht schnell genug gehen. Wenn dabei Einfluss von EU- und NATO-Staaten verloren geht, umso besser.
Nachdem in Bezug auf Tunesien und Ägypten die Notwendigkeit eines langsamen und geordneten Wandels beschworen wurde, wird nun also mal wieder die alte Leier der Rettung der Zivilbevölkerung durch westliches Militär bemüht, um den eigenen Einfluss in der Region zu retten und einen neuen Krieg um EU-Sicherheit und Rohstoffe zu legitimieren. Eine Theateraufführung, die uns eigentlich spätestens seit 1999 bekannt sein dürfte.

Umso beschissener, dass auch Teile der Linken nach wie vor in ideologisiertem und bipolarem Denken verfangen sind.

Wer gegen Gaddafi ist, ist für Demokratie.

Wer gegen die Intervention der NATO ist, ist für Gaddafi und Massenmord.

Wer die Interventionen der NATO in einen kolonialen Kontext setzt, ist ein verkürzender Antiimp.

Wer gegen einen verkürzten Antiimperialismus ist, ist antideutsch.

Genau dieses schwarz-weiß Denken ist kompatibel mit einer militarisierten Weltsicht.

So wird weder ein historischer Kontext einbezogen, noch nach anderen als militärischen Lösungen gesucht. Es wird auch nicht die Frage gestellt, wessen Aufgabe es ist eine Lösung zu finden, wen es konkret zu unterstützen gilt und welcher politischen Strömung unsere Solidarität gilt – und wem wir hier in den Rücken fallen müssen, damit es eine größere Hoffnung auf eine demilitarisierte Befreiung von diktatorischen Regimes geben kann.

Gegen die Kapitulation vor der Komplexität der Dinge

Wir weigern uns, zu Gunsten der Aufständischen eine Intervention der NATO gut zu heißen.

Stellungnahmen innerhalb dieser konstruierten, bipolaren Logik sind mit Vorsicht zu genießen, doch selbst die Linkspartei meint: Wenn die EU Gaddafi in den letzten Jahren nicht einen Haufen Waffen und Geld gegeben hätte und jetzt ein Erdölembargo durchsetzen würde, wäre die Intervention gar nicht nötig.

Ja nun ist das Kind aber in den Brunnen gefallen. Hat der Diktator doch tatsächlich die ihm gelieferten Waffen benutzt, um Menschen zu töten. Damit hätte nun wirklich niemand rechnen können! Bewaffnete Widerstandskämpfer und Zivilist_innen wurden ermordet, angeblich mit Kampfflugzeugen. Das Selbe tut die NATO zwar seit über zehn Jahren z.B. in Afghanistan und schon jetzt hat es auch abseits libyscher Propaganda zig tote Zivilisten bei NATO-Bombardements gegeben, doch ist es bestimmt auch für die libysche Zivilbevölkerung total gut, nun von der NATO gerettet zu werden. Diese militaristische Logik ist einfach nur zum Kotzen!

In Syrien hat das Bath-Regime schon weit über hundert Menschen bei Protesten massakriert, in Barhain sind saudische Truppen zur Unterbindung der Proteste einmarschiert, im Sudan droht, nach der, vom Westen geförderten, Teilung des Landes, ein erneuter Bürgerkrieg und in der Elfenbeinküste hat er bereits begonnen und Millionen! sind auf der Flucht. Um nur einige Beispiele von Bürgerkrieg und Massenmord, aus nur einem kleinen Teil der Erde, zu nennen. Meint eigentlich irgendwer ernsthaft, dass irgendein (NATO-) Staat interveniert, um Menschenleben und eine „Demokratiebewegung“ zu retten?

Es ist ja wohl kein Geheimnis, dass das Interesse von Staaten immer ihr jeweiliger Einfluss ist. Die Intervention in Libyen ist selbstverständlich rein interessengeleitet. Der moralische Überbau ist nicht mehr als medial in Szene gesetzte Heuchelei.

Wenn eine Übergangsregierung anerkannt wird, dann weil sie erneut sichere EU-Grenzen, Flüchtlingsabwehr und Zugang zu Öl und Märkten garantieren soll. Wenn an Aufständische Waffen geliefert werden, dann an diejenigen, die den Zugriff der EU im Falle ihres Sieges garantieren. Wenn sich die NATO zunächst zur Luftwaffe der Aufständischen und bald vielleicht auch auf dem Boden zur Kriegspartei macht, dann um die Kontrolle über ein strategisch und wirtschaftlich wichtiges Land an der Grenze der EU herzustellen.

Die Zurückhaltung der Bundesregierung ist ebenso wie die Kritik aus den eigenen Reihen und der der SPD und Grünen, Ausdruck eines Bestrebens deutsche Interessen durchzusetzen.

Nur gibt es eben unterschiedliche Einschätzungen wie diese am besten zur Geltung kommen.

Wenn die BRD dem UN-Mandat zugestimmt hätte, wären Forderungen nach militärischer Beteiligung unvermeidlich gewesen. Denn Deutschland ist, außer den USA, der einzige NATO-Staat, der über die militärischen Fähigkeiten verfügt eine Flugverbotszone durchzusetzen – dank AWAKS-Besatzungen und Aufklärungstornados, die in der Lage sind das feindliche Radar umgehend auszuschalten. In Libyen gibt es im Gegensatz zu Ägypten oder Tunesien allerdings gar keine Ansätze von Zivilgesellschaft nach westlichem Muster, mit Parteien, Gewerkschaften usw. Auch gibt es in Libyen keine deutschen Stiftungen, Entwicklungshilfeprojekte o.ä., was die Einschätzung der Situation, im Vergleich zum Beispiel zu Ägypten, erschwerte. Die Bundesregierung war sich also einfach nicht sicher, auf welches Pferd sie setzten sollte, was welche Gruppierung eigentlich will und wer wohl letztendlich den Sieg davon tragen wird. Während sie daraus den Schluss gezogen hat sich lieber herauszuhalten – man will es sich ja mit niemanden verscherzen – sehen z.B. die Grünen und die SPD ihr Projekt des dauerhaften Sitzes im Weltsicherheitsrat gefährdet. In der hohen NATO-Kommandoebene und der „humanitären Hilfe“ ist Deutschland trotzdem dabei und eine Beteiligung an einer Seeblockade Libyens wird auch nicht mehr ausgeschlossen.

Doch vor allem Frankreich hat sich mit der frühzeitigen Anerkennung der Rebellenregierung festgelegt. Nun musste die „Koalition der Willigen“ auch dafür sorgen, dass der Gaul auf den sie gesetzt hatte, gewinnt. Wie schnell diese Rechnung aufgehen wird, lässt sich zur Zeit nicht sagen.

Doch dass die Intervention offensichtlich der Durchsetzung der Interessen westlicher Staaten dient, ist nur der eine Aspekt, weshalb der kriegerischen Intervention aufs schärfste widersprochen werden muss.

Der zweite Punkt ist eine grundlegende Kritik an der Militarisierung der Verhältnisse.

Was heißt denn Krieg? Was heißt es denn, die Situation in Libyen weiter zu militarisieren?

Ein Bombenkrieg aus der Luft bedeutet immer sehr viele zivile Tote. Die hätte es bei der eventuellen Niederschlagung der Revolte durch Gaddafi wahrscheinlich auch gegeben.

Doch zunächst eine Diktatur massiv aufzurüsten, um dann den Widerstand gegen dieselbe zu bewaffnen bedeutet die totale Militarisierung der Gesellschaft.

Im Kern der Niederschlagung der alten Diktatur wird eine erneute Gewaltherrschaft schon angelegt.

Afghanistan ist nicht Libyen, trotzdem lassen sich grundlegende Strategien vergleichen. Um Einfluss zu gewinnen, sind die EU und auch die NATO darauf angewiesen, sich mit lokalen Herrschaftsstrukturen zu verbünden. Selbst mit hunderttausenden Soldaten und dem modernsten Kriegsgerät ist ein Land sonst nicht zu kontrollieren. Die lokalen Machthaber, mit denen sich Verbündet wird, sind selbstverständlich welche, die als Gegenleistung für die Absicherung ihrer Macht, Einfluss garantieren. In Afghanistan fordert die linke und feministische Opposition, die Strafverfolgung von weiten Teilen der Verbündeten der NATO und der Regierung Karsai. Die Kriegsverbrecher der Nordallianz und einige Warlords, die sich auch mit den Taliban ganz gut arrangiert hatten, sind jedoch die Garanten der relativen Stabilität in Afghanistan und eine Stütze der NATO.

Auch in Libyen werden jetzt diejenigen Herrschaftsstrukturen unterstützt, die sich vom alten Regime losgesagt haben und trotzdem eine Zusammenarbeit mit dem Westen garantieren. Größtenteils wird unter der Fahne der 1969 gestürzten Monarchie gekämpft. Die totale Kontrolle des Regimes wird durch die verschiedener bewaffneter Gruppen und „Stämme“ ersetzt. Die Wahrscheinlichkeit, dass emanzipatorische Kräfte eine größere Rolle in dem Konflikt spielen, sinkt, je weiter er militarisiert wird. Während die libysche Revolte am Anfang durchaus spontan war und vielfach von jungen Menschen, die einfach die Schnauze voll hatten, getragen wurde, übernehmen jetzt immer mehr Funktionäre des alten Regimes und übergelaufene Generäle das Sagen. Denn einerseits macht ein Konflikt der zum Krieg wird militärische also antiemanzipatorische Organisationsformen und Befehlsketten notwendig, andererseits können und wollen emanzipatorische Gruppen keine dauerhafte Zusammenarbeit mit EU und NATO garantieren, und bekommen dementsprechend gar keine Unterstützung.

Dem gegenüber steht die Förderung bewaffneter Männerhorden einem emanzipativen Prozess grundlegend entgegen. Gewaltförmig ausgetragene Konflikte verschärfen immer auch patriarchale Zustände. Einerseits wird in Kriegen massiv sexualisierte Gewalt ausgeübt, andererseits wird männliche Gewalt in Form von soldatischen Tugenden verherrlicht. Nicht zufällig fordern feministische afghanische Organisationen als erstes den Abzug der NATO, um eine Entmilitarisierung der Verhältnisse zu ermöglichen.

Für einen radikalen Antimilitarismus

Eine Linke, die den herrschenden Verhältnissen eine radikale Kritik und Praxis entgegenstellen will, muss klar Position gegen jeden Krieg beziehen.

Wer dies nicht tut, bleibt in geschichtslosen und paternalistischen Weltbildern verhangen.

Wenn von der BRD und EU hofierte Diktaturen erst dann zum Thema werden, wenn es bereits massenhaft Aufstände und in einem Land einen NATO-Krieg gibt, läuft grundsätzlich etwas verkehrt.

Wenn große Teile der Linken sich nicht und einige sogar kriegsbefürwortend positionieren, ist dies auch eine Verweigerung, die eigenen Privilegien kritisch zu reflektieren und sich auf die Seite der Habenichtse zu stellen. Die Meisten weißen BRD-Pass-Inhaber_innen profitieren doch von der kolonialen Vergangenheit, der Absicherung des Wohlstands, der Außengrenzen und der Handelswege und den billigen Waren.

Es gilt, nicht erst gegen Diktatur zu sein, wenn die NATO dies propagiert. Sowohl die Unterstützung von EU und NATO für die Diktaturen dieser Welt, als auch der nun geführte Krieg gegen eine, sind Ausdruck der Durchsetzung eigener Interessen und einer neokolonialen Politik.

Flüchtlinge abschieben, Diktatoren unterstützen, Grenzen bewachen, Waffen liefern, geheim operieren, verschleppen, foltern, Polizisten ausbilden, Bomben werfen, Drohnen steuern, Piraten jagen, Länder besetzen, Kriege führen. All das ist doch Teil eines globalen Krisenmanagements, das Privilegien, die seit dem Kolonialismus bestehen, verteidigen und Einfluss ausbauen soll.

Dies gilt es anzugreifen – immer. Dabei sind antikoloniale Kämpfe des letzten Jahrhunderts genau wie auch aktuelle Kämpfe um Befreiung und Teilhabe am Wohlstand, wichtige Bezugspunkte.

Wer deutsche Kriegsbeteiligungen befürwortet, stellt darüber hinaus nur einmal mehr die Geschichtslosigkeit der deutschen Linken heraus. Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg! war einmal die Losung linker und kommunistischer KZ-Überlebender. Wer für eine Kriegsbeteiligung Deutschlands ist, stellt sich auch in eine Linie mit einer deutschen Geschichtsbewältigung, die seit 1999 wegen und nicht trotz Auschwitz Krieg führen will. Die Verbrechen der Deutschen werden verharmlost und die Konsequenzen verdreht.

Die Geschichte antifaschistischer und antikolonialer Kämpfe ist unsere. Um die Wiederaneignung einer solchen Perspektive auf Geschichte muss uns es gehen. Und darum Positionen zu beziehen, die sowohl dieser Geschichte als auch der Komplexität der Verhältnisse gerechter werden.

Es sind Positionen zu entwickeln, die Kämpfe zusammen denken und daraus eine Praxis abzuleiten, die den dauerhaften Kriegszustand angreift und sabotiert.

Doch das Märchen vom Ende der Geschichte, das Bedürfnis nach Sicherheit und die Individualisierung haben sich anscheinend tief in die Köpfe eingebrannt.

In mitten zahlreicher, dauerhaft, krisenhafter Entwicklungen und einem Auseinanderfliegen vieler alter Vorstellungen, Sicherheiten und Machtverhältnisse, sitzt die radikale Linke und scheint an die Stabilität der Verhältnisse zu glauben. Wenn wir nicht bald anfangen, die Krisentendenzen und die militärische Absicherung der Herrschaft um uns herum ernstzunehmen, werden wir weiteren Zuspitzungen sowohl als Individuen als auch als radikale Linke nichts entgegensetzen können.

Wir wollen die Instabilität, denn sie beinhaltet die Perspektive der Veränderung.

Doch damit sie uns nicht zermalmt, müssen wir endlich wieder Fragen stellen anstatt Phrasen zu dreschen. Die Krise ist überall und sie wird es uns nicht mehr ewig gestatten, dass wir uns in unsere Nischen verkriechen und Teilbereichskämpfe führen.

Also verabschieden wir uns von der Vorstellung, jemals Rente zu kriegen und positionieren wir uns als aktive Kämpfer_innen in globalen Auseinandersetzungen.

Nachschlag:

  1. Wir wissen um das Dilemma, dass objektiv Aufständische in Libyen durch die NATO-Bombardements davor geschützt werden, massakriert zu werden. Wir können drauf nur eine politische und keine praktische Antwort geben. (s.o.) Wenn wir uns trotzdem gegen jede Intervention aussprechen, dann nicht weil wir dies auf die leichte Schulter nehmen, sondern weil wir die Geschichte und die Interessen der westlichen Staaten kennen. Dies gilt es auszuhalten und wenn möglich mit emanzipatorischen Kräften aus der Region zu diskutieren.

  1. Der Unterstrich, wie bei Antimilitarist_in, soll deutlich machen, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt. Aus Soldaten, Soldat_innen zu machen würde aber nicht nur die männliche Dominanz sondern vor allem die Notwendigkeit zweigeschlechtlicher und heterosexistischer Konstruktionen für das Militär, verdecken. Es kann keine Soldaten geben, die sich außerhalb dessen verorten. Deshalb verwenden wir an einigen Stellen einen Unterstrich an einigen aber auch nicht – das ist keine optimale Lösung, wenn jemanden eine bessere einfällt her damit.

Einige Autonome – BRD 30.03.2011

derkriegdenallelieben@gmx.de