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Unmittelbar nach seinem Amtsantritt im März 2011 kündigte der neue Verteidigungsminister Thomas de Maiziere an, er müsse sich bezüglich der anstehenden Bundeswehrreform zunächst einmal über den Sachstand informieren, was einige Zeit dauern werde. Zweieinhalb Monate später verkündete er am 18. Mai seine „Eckpunkte für die Neuausrichtung der Bundeswehr“, die unter seinem Vorgänger Karl-Theodor zu Guttenberg auf den Weg gebracht worden waren.
Offizieller Anlass für den Umbau sind die Bundeswehr-Sparvorgaben von 8,3 Mrd. Euro bis zum Jahr 2015. Um diese zu erfüllen, hatte es zwischenzeitlich den Anschein, als erwäge de Maiziere eine Reduzierung der Bundeswehr, die weit über Guttenbergs ursprüngliche Pläne hinausgegangen wäre. Als Reaktion hierauf warnten jedoch interessierte Kreise überdeutlich, dies würde Deutschlands Fähigkeiten zur Kriegsführung erheblich beeinträchtigen. Nachdem die militärische Interessensdurchsetzung aber im Zentrum der ebenfalls am 18. Mai 2011 erlassenen neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien (VPR) steht, verwundert es nicht, dass de Maiziere nun von den radikalen Kürzungsvorhaben Abstand nahm – ebenso wie von den Sparvorgaben, die offenbar über Buchungstricks entsorgt werden sollen. Im schlimmsten Fall könnte am Ende sogar eine erhebliche Erhöhung des Rüstungsetats stehen.
Offizielle und inoffizielle Umbauziele
Die Bundesregierung verkündete im Juni 2010, bis 2014 insgesamt 81,6 Milliarden Euro einsparen zu wollen. Der Verteidigungsetat sollte dazu 8,3 Mrd. Euro beitragen, wobei schnell eine „Fristverlängerung“ bis 2015 genehmigt wurde. Vereinfacht gesagt, müsste der Rüstungshaushalt demzufolge beginnend ab 2012 im Jahresdurchschnitt um etwa 2,1 Mrd. Euro gesenkt werden. So begrüßenswert jegliche Verringerung in diesem Bereich auch ist, ambitioniert oder drastisch waren diese Vorgaben in keiner Weise. Ihre Umsetzung hätte nicht einmal die mehr als üppigen Aufwüchse der vergangenen Jahre rückgängig gemacht: Noch 2006 betrug der – offizielle – Rüstungsetat 27,8 Mrd. Euro, für 2011 sind 31,548 Mrd. eingestellt.
Der Hauptteil der Einsparungen sollte über einen Personalabbau erzielt werden, wofür eine Planungsgruppe unter Leitung des Bundeswehr-Generalinspekteurs Volker Wieker Vorschläge erarbeiten sollte, die am 31. August 2010 veröffentlicht wurden.[1] Der „Bericht des Generalinspekteurs der Bundeswehr zum Prüfauftrag aus der Kabinettsklausur vom 7. Juni 2010“ schlägt verschiedene Modelle vor, die eine Reduzierung des Gesamtumfangs von derzeit 252.000 Soldaten auf eine Zahl zwischen 205.000 und 150.000 vorsahen. Die im Bericht präferierte Zielgröße waren 163.500 Soldaten, von politischer Seite, insbesondere aus den Reihen der CDU, wurde aber darauf hin schnell Druck für einen Umfang von mindestens 185.000 gemacht.
Dies war in etwa der Sachstand, als de Maiziere im März 2011 die Geschäfte im Bendlerblock übernahm. Schon bevor sein Vorgänger zu Guttenberg von der Bühne abtreten musste, war klar, dass die Sparvorgaben nur bei umfassendsten Personalkürzungen erreicht werden würden. Aus diesem Grund erwog de Maiziere Berichten zufolge zwischenzeitlich wohl eine Personalreduzierung, die mit 145.000 weit über die zuvor angedachten Zielgrößen hinausgegangen wäre.[2] Ein solcher Truppenumfang würde aber mit dem zweiten – offensichtlich prioritären – Ziel der Bundeswehrreform kollidieren, nämlich die Anzahl der für Kriegseinsätze im Ausland gleichzeitig verwendbaren Soldaten von bislang 7.000 auf künftig 14.000 zu verdoppeln.[3] Vor diesem Hintergrund tauchte ein „Geheim“-Papier des Verteidigungsministeriums auf, das für erheblichen Wind sorgte, da es dieses Ziel in Frage stellte.
Brandbrief aus dem BMVg
Am 20. April 2011 veröffentlichte die Bildzeitung Auszüge aus einem „geheimen“ Bericht des Verteidigungsministeriums, der sich mit den Auswirkungen der Sparvorgaben beschäftigte und der de Maizieres weitere Überlegungen maßgeblich beeinflusst haben dürfte. Ungeachtet aller politischen Forderungen, die Gesamtgröße der Bundeswehr dürfe 185.000 nicht unterschreiten, kommt das Papier, das wohl keineswegs zufällig das Licht der Öffentlichkeit erblickte, zu dem Ergebnis, unter der Sparvorgabe sei maximal Geld für 158.000 Soldaten vorhanden.
Nach diesem Befund wird auf die Folgen verwiesen. Hiermit ginge etwa die „Bündnis- und Einsatzfähigkeit absehbar verloren.“ Die Kürzungen würden die Bundeswehr fundamental gefährden, so das BMVg-Papier: „Die ins Auge gefassten Einschnitte werden die Fähigkeiten Deutschlands, mit militärischen Mitteln zur nationalen und internationalen Sicherheitsvorsorge beizutragen, erheblich einschränken. Der deutsche Militärbeitrag wird weder der Rolle Deutschlands im Bündnis entsprechen noch den nationalen Sicherheitsinteressen genügen. Diese Einschränkungen werden auf mittlere Sicht nicht reversibel sein.“ Im Ergebnis, und hier setzten die Militärs der Politik buchstäblich die Pistole auf die Brust, könne unter diesen Umständen die Kernaufgabe der Bundeswehr, an mehreren Orten Krieg für deutsche Interessen führen zu können, nicht mehr gewährleistet werden: „Bei den vorgesehenen Eingriffen ins Fähigkeitsprofil (…) wird die Unterstützung nur noch in einem Einsatzgebiet durchhaltefähig möglich sein.“[4]
Wohlgemerkt, diese Bemerkungen bezogen sich auf eine Gesamtgröße von 158.000 Soldaten, nicht etwa auf die nahezu parallel von de Maiziere angestellten Überlegungen sogar auf 145.000 zu reduzieren. Daraufhin wurde allenthalben Kritik geäußert, die Bundeswehr werde „kaputtgespart“, es drohe eine „Sicherheitspolitik nach Kassenlage“. Somit wurde die Politik, und ganz speziell de Maiziere, vor eine klare Wahl gestellt: Sparen oder Krieg führen!
Deutsche Interessen: Verteidigungspolitische Richtlinien
Am selben Tag, an dem de Maiziere seine Pläne für die Neuausrichtung der Bundeswehr bekannt gab, erließ er auch neue Verteidigungspolitische Richtlinien.[5] Dabei handelt es sich um die verbindliche konzeptionelle Grundlage für die deutsche Verteidigungspolitik, die somit auch Ziel und Stoßrichtung der Neuausrichtung der Bundeswehr vorgeben.
Unter dem Titel „Nationale Interessen wahren – Internationale Verantwortung übernehmen – Sicherheit gemeinsam gestalten“ benennen die VPR eine Vielzahl von Interessen, deren Durchsetzung Aufgabe der Bundeswehr sein müsse. Die „Abwehr von Gefährdungen unserer Sicherheit“ sei die vorderste Aufgabe der Bundeswehr, wobei man sich augenscheinlich von nahezu allem und jedem bedroht fühlt: „Risiken und Bedrohungen entstehen heute vor allem aus zerfallenden und zerfallenen Staaten, aus dem Wirken des internationalen Terrorismus, terroristischen und diktatorischen Regimen, Umbrüchen bei deren Zerfall, kriminellen Netzwerken, aus Klima- und Umweltkatastrophen, Migrationsentwicklungen, aus der Verknappung oder den Engpässen bei der Versorgung mit natürlichen Ressourcen und Rohstoffen, durch Seuchen und Epidemien ebenso wie durch mögliche Gefährdungen kritischer Infrastrukturen wie der Informationstechnik.“ (S. 1f.)
Noch ein wenig prominenter als im Weißbuch der Bundeswehr von 2006 betonten die VPR die Bedeutung der Rohstoffabsicherung: „Freie Handelswege und eine gesicherte Rohstoffversorgung sind für die Zukunft Deutschlands und Europas von vitaler Bedeutung. Die Erschließung, Sicherung von und der Zugang zu Bodenschätzen, Vertriebswegen und Märkten werden weltweit neu geordnet. Verknappungen von Energieträgern und anderer für Hochtechnologie benötigter Rohstoffe bleiben nicht ohne Auswirkungen auf die Staatenwelt. Zugangsbeschränkungen können konfliktauslösend wirken. Störungen der Transportwege und der Rohstoff- und Warenströme, z.B. durch Piraterie und Sabotage des Luftverkehrs, stellen eine Gefährdung für Sicherheit und Wohlstand dar. Deshalb werden Transport- und Energiesicherheit und damit verbundene Fragen künftig auch für unsere Sicherheit eine wachsende Rolle spielen.“ (S. 4f.)
Deutschland solle sich darüber hinaus laut VPR allein schon deshalb an Kriegen beteiligen, um hierdurch Ansprüche auf eine „mitgestaltende“ Rolle erheben zu können: „Durch die Befähigung zum Einsatz von Streitkräften im gesamten Intensitätsspektrum ist Deutschland in der Lage, einen seiner Größe entsprechenden, politisch und militärisch angemessenen Beitrag zu leisten und dadurch seinen Einfluss, insbesondere seine Mitsprache bei Planungen und Entscheidungen sicherzustellen. Nur wer Fähigkeiten für eine gemeinsame Aufgabenwahrnehmung anbietet, kann im Bündnis mitgestalten.“ (S. 10) Nachdem de Maiziere jahrelang Bundesinnenminister war, verwundert es zudem nicht, dass die VPR angeben, zum Auftrag der Bundeswehr gehörten auch „Beiträge zum Heimatschutz, d.h. Verteidigungsaufgaben auf deutschem Hoheitsgebiet sowie Amtshilfe in Fällen von Naturkatastrophen und schweren Unglücksfällen, zum Schutz kritischer Infrastruktur und bei innerem Notstand.“ (S. 11)
Angesichts der Aufgabenfülle müsse schließlich aber ein „‘priorisiertes Fähigkeitsprofil Bundeswehr‘ entwickelt“ werden, was bedeute, dass die Landesverteidigung eine nachrangige Aufgabe werde, denn die Bundeswehr müsse sich auf die „wahrscheinlicheren Aufgaben der internationalen Konfliktverhütung und Krisenbewältigung“ konzentrieren, sie „bestimmen die Grundzüge der neuen Struktur der Bundeswehr.“ (S. 16) Vor dem Hintergrund dieser ambitionierten Agenda verwundert es nicht, dass von Etatkürzungen in den VPR keine Rede ist. Stattdessen wird betont: „Die Bundeswehr muss die notwendigen finanziellen Mittel erhalten, um einsatzbereite und bündnisfähige Streitkräfte zu erhalten, die dem Stellenwert Deutschlands entsprechen.“ (S. 10)
Sparvorgabe Makulatur: De Maizieres Umbaupläne
Auch künftig sollen jährlich 5,1 Milliarden Euro für neue Rüstungsgüter ausgegeben werden, zur Freude von EADS und Co. werden hier also keine Einsparungen vorgenommen. Stattdessen sollen Kostensenkungen „im Wesentlichen über den zivilen und militärischen Personalhaushalt“ erbracht werden, so de Maizière.[6] Allerdings plant der Verteidigungsminister hierfür eine Truppenreduzierung, die am oberen Rand der diskutierten Möglichkeiten liegt. Laut den „Eckpunkten für die Neuausrichtung der Bundeswehr“ vom 18. Mai 2011 wird „der zukünftige Bundeswehrumfang aus bis zu 185.000 Soldatinnen und Soldaten und 55.000 zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bestehen.“[7] Lediglich was die Zahl der gleichzeitig im Ausland künftig einsetzbaren Soldaten anbelangt, ist man etwas zurückgerudert: „Es werden rund 10.000 Soldatinnen und Soldaten zeitgleich durchhaltefähig für Einsätze verfügbar sein.“ Allerdings handelt es sich hierbei dennoch um eine Ausweitung der bisherigen Kapazitäten um nahezu 50%, wobei es sich hier um die bei weitem kostenintensivsten Truppenteile handelt.
Bedenkt man nun, dass allein schon durch die Aussetzung der Wehrpflicht, die de Maiziere wie erwartet beibehalten will, 30.000 Soldaten wegfallen, sind die Reduzierungspläne alles andere als ambitioniert. Mehr noch: sie sind absolut unvereinbar mit den Sparvorgaben von 8,3 Mrd. Euro, da das oben zitierte interne BMVg-Papier angibt, hierfür müsste der Truppenumfang auf 158.000 Soldaten reduziert werden. Dies ist selbstverständlich auch allen Verantwortlichen wohl bewusst, augenscheinlich haben sich de Maiziere und Wolfgang Schäuble bereits auf einen Buchungstrick verständigt, mit dem die Sparvorgabe eingehalten werden könnte, ohne den Rüstungshaushalt effektiv senken zu müssen: „Zum Sparen nur so viel: […] Alles weitere werde bei den Haushaltsberatungen im Juli zu erfahren sein, er [de Maiziere] habe sich mit Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) bereits verständigt. Eine denkbare Vereinbarung der beiden könnte – so wird im politischen Berlin spekuliert – die Auslagerung der Pensionskosten aus dem Wehretat sein. De Maizière ließ sich dazu nicht ein, bemerkte nur, diese Vermutung gehe ‚schon eher in die richtige Richtung‘.“[8]
Diese schwammigen Aussagen lassen allerdings einige entscheidende Fragen offen. Ist hier „nur“ die Auslagerung der Pensionsausgaben für im Zuge der Personalreduzierung aus dem Amt scheidende Soldaten gedacht? Allein dies würde einer Modellrechnung zufolge grob überschlagene 1,5 Mrd. jährlich ausmachen – das Einsparziel von etwa 2,1 Mrd. wäre damit schon annähernd in Sichtweite![9] Denkbar und bislang nicht ausgeschlossen wäre im schlimmsten Fall, dass sämtliche Versorgungsansprüche dem Bundeshaushalt aufgebürdet werden könnten. Damit wäre der Rüstungsetat um einen riesigen Posten entlastet. Im derzeitigen Haushaltsansatz 2011 sind hierfür 14,7% bzw. 4,63 Mrd. Euro eingestellt.[10] So könnte im Ergebnis ein solcher Buchungstrick im schlimmsten Fall zu einer Erhöhung der Rüstungsausgaben um ca. 2,5 Mrd. Euro jährlich führen. Sparen auf Militärisch!
Anmerkungen
[1] Bericht des Generalinspekteurs der Bundeswehr zum Prüfauftrag aus der Kabinettsklausur vom 7. Juni 2010.
[2] 145.000 statt 185.000? Geopowers.com, 26.04.2011: http://www.geopowers.com/145000-statt-185000-1322.html
[3] Vgl. Haid, Michael: Radikaler Umbau statt Kosmetik – Zum Bericht der Strukturkommission der Bundeswehr, IMI-Standpunkt 2010/041.
[4] Bundeswehr wird kaputt gespart! Bild.de, 20.04.2011: http://www.bild.de/politik/inland/bundeswehrreform/einsatzfaehigkeit-kaputtgespart-158000-statt-185000-soldaten-17527866.bild.html
[5] Verteidigungspolitische Richtlinien: Nationale Interessen wahren – Internationale Verantwortung übernehmen – Sicherheit gemeinsam gestalten, Berlin, den 18. Mai 2011. Die im Text folgenden Seitenzahlen in Klammern beziehen sich auf dieses Dokument.
[6] Reform der Bundeswehr Streichen, kürzen, schrumpfen , Spiegel Online, 18.05.2011: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,763419,00.html
[7] BMVg: Eckpunkte für die Neuausrichtung der Bundeswehr, Berlin, 18.05.2011. Tatsächlich bewegt sich die Zahl zwischen 175.000 und 185.000: 170.000 Berufs- und Zeitsoldaten sowie – je nach Erfolg der Rekrutierungsmaßnahmen – zwischen 5.000 und bis zu 15.000 Freiwillig Wehrdienstleistenden.
[8] Reform der Bundeswehr Streichen, kürzen, schrumpfen , Spiegel Online, 18.05.2011.
[9] Wiegold, Thomas: Zahlen auf dem Tisch, 22. November 2010: http://augengeradeaus.net/2010/11/zahlen-auf-dem-tisch/
[10] http://www.bmvg.de/resource/resource /MzEzNTM4MmUzMzMyMmUzMTM1MzMyZTM2MzEzMDMwMzAzMDMwMzAzMDY3NmE2OTM2N2EzODMyMzMyMDIwMjAyMDIw/haushalt_2011.pdf
Jürgen Wagner