Eine gemeinsame europäische Armee ist keinesfalls nur Zukunftsmusik. Zu dem bereits heute funktionsfähigen Kern einer Euroarmee gehört das „Europäische strategische Lufttransportkommando“ (European Air Transport Command/EATC). Dieses hat, weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit, vor mehr als einem Jahr seine Arbeit aufgenommen.
Auf dem so genannten Pralinengipfel am 29.4.2003 beschlossen die Vertreter von Deutschland, Frankreich, Belgien und Luxemburg, zukünftig im Militärbereich verstärkt zusammenzuarbeiten. Das „Alte Europa“, das kurz nach Ausbruch des Irakkrieges um seinen machtpolitischen Einfluss fürchtete, wollte auf diesem Gipfel dokumentieren, dass es dazu in der Lage ist, auch selbst militärisch etwas auf die Beine zu stellen.
In den Worten des damaligen Kanzlers Schröder:
„Wer für sich in Anspruch nimmt, …im Ernstfall auch zu differenzieren oder Nein zu sagen wie im Falle Irak, der muss sich in die Lage versetzen, auch etwas aus eigener Kraft zu leisten.“
In anderen Worten: Wer im Einzelfall einmal „Nein“ zu einem Krieg sagt, muss in der Lage sein, einen anderen Krieg führen zu können, um seine globale Machtposition zu sichern.
Dies erfordert jedoch zwingend die Fähigkeit zum strategischen Lufttransport, um Soldaten und Kriegsgerät an die jeweiligen Einsatzorte verfrachten zu können. Heute, neun Jahre später, ist einer der damals vereinbarten Meilensteine erreicht. Mit dem gemeinsamen Transportkommando hat das militärische Kerneuropa seine globale Handlungsfähigkeit trotz klammer öffentlicher Kassen deutlich ausgebaut.
Effizient in jeden neuen Krieg
Das EATC ist verantwortlich für gemeinsame militärische Lufttransporte mit Flugzeugen, nicht jedoch mit Hubschraubern. Das europäische Kommando führt zwar keine „Kinetischen Einsätze“, also keine direkten Kampfeinsätze durch, allerdings transportiert es durchaus Rüstung, Munition und Soldaten, auch im direkten Kontext von Kriegen. Die Einrichtung eines gemeinsamen Transportkommandos bedeutet, zumindest teilweise auf nationale Souveränität zu verzichten.
Das ist einer der Gründe dafür, dass die konkrete Umsetzung des Beschlusses aus dem Jahr 2003 länger als geplant dauerte. 2007 einigten sich Belgien, Deutschland, Frankreich und die Niederlande auf ein Konzept. Im September 2010 wurde das EATC dann in den Niederlanden (Eindhoven) aufgestellt. Luxemburg, das ursprünglich seine Bereitschaft zur Teilnahme signalisierte, wird voraussichtlich erst 2013 beitreten.
Um das EATC langfristig zu regeln, soll 2013/14 ein Staatsvertrag abgeschlossen werden und damit auch Nicht-NATO-Staaten integriert werden können, wurde bewusst eine Lösung außerhalb der NATO-Struktur gesucht. Es wird unter anderem mit dem Beitritt von Österreich, Spanien und der Türkei gerechnet.
Der deutsche Beitrag zum EATC besteht aus 72 Soldaten und einem Zivilmitarbeiter, die alle in der Zentrale in Eindhoven eingesetzt werden. Im November 2011 waren zudem etwa 70 deutsche Transportflugzeuge dem gemeinsame Transportkommando unterstellt.
Die Flugzeuge werden jeweils von nationalen Besatzungen geflogen, sie transportieren aber Frachten für sämtliche der teilnehmenden Streitkräfte. Fünf der dem EATC zugeordneten Maschinen sind A310Transportflugzeuge und der Rest besteht aus Transportflugzeugen des Typs C-160 und C-160 ESS.
Zukünftig sollen auch die von EADS produzierten Airbus A400M im Rahmen des EATC eingesetzt werden. Obwohl die volle Funktionsfähigkeit des Transportkommandos erst im Mai 2011 erreicht wurde, wurde im selben Jahr bereits eine umfangreiche Transportleistung abgewickelt: Insgesamt 7.712 Flüge statt, 3.650 davon waren deutsche Flüge.
Flüge, die für eine andere Nation durchgeführt werden, werden nicht bezahlt, sondern lediglich erfasst. Durch den Einsatz des jeweils passenden Flugzeuges, mit der jeweils passenden Transportkapazität soll insgesamt ein Effizienzgewinn erzielt werden.
Libyen, Afghanistan – Kriegsbeteiligung als Routineaufgabe
Die Transportflugzeuge werden nicht nur in Europa eingesetzt, sondern auch routinemäßig „auf dem afrikanischen und amerikanischen Kontinent.“ (1) Konkret wurde bisher die Unterstützung des Libyenkrieges, die französischen Intervention in der Elfenbeinküste und der Afghanistankrieg über das EATC durchgeführt.
Die Unterstützungsflüge für den ISAF-Einsatz in Afghanistan werden von deutschen Flugzeugen über Termes/Usbekistan und von französischen Flugzeugen über Duschanbe/Tadschikistan abgewickelt. Angesichts der seit November 2011 geschlossenen Grenze zu Pakistan, haben diese Transportrouten über Usbekistan und Tadschikistan eine zentrale strategische Bedeutung.
Auch wenn durch das EATC keine Kampfeinsätze geflogen werden, so handelt es sich doch in vielen Fällen um direkte Beihilfe zur Kriegsführung. Laut Angaben aus dem Unterausschuss Sicherheit und Verteidigung im Europaparlament (2) wurden im Verlauf des Libyenkrieges 11.000 Soldaten und 3.300 Tonnen Ausrüstung durch das EATC transportiert. Dies fand als direkte Unterstützung für 35 Kampfflugzeuge und Kampfdrohnen statt.
Der größte Teil dieser Transporte wurde durch französische Maschinen abgewickelt, dennoch haben deutsche SoldatInnen immerhin etwa 10% der Transporte durchgeführt. Zusätzlich waren in der Zentrale in Eindhoven weitere Bundeswehrangehörige an der Durchführung des Libyenkrieges beteiligt.
Am Libyenkrieg war Deutschland offiziell nicht beteiligt. Es gab folglich auch kein Mandat durch den Bundestag, das eine Teilnahme deutscher Soldaten an diesem Krieg ermöglicht hätte. Wie schon früher bekannt wurde, waren über hundert deutsche Soldaten in NATO-Stäben eingesetzt, die explizit für die Unterstützung des NATO-Krieges gegen Libyen eingerichtet worden waren. Die Parlamentsbeteiligung und damit die demokratische Kontrolle der Bundeswehr wird durch solche indirekten Kriegseinsätze immer weiter ausgehöhlt.
Das Ende der Parlamentsarmee
Grundsatzentscheidungen über Krieg und Frieden werden zunehmend durch Effizienzerwägungen ausgehebelt. Auch Staatssekretär Kossendey scheint dieses Dilemma zu bemerken, indem er in seiner Unterrichtung an den Verteidigungsausschuss anmerkt, dass Effizienzsteigerungen erkauft werden durch „eine Verringerung der nationalen Einflussmöglichkeiten.“(3) Es geht hier jedoch nicht um eine x-beliebige Abwägung, sondern um eine demokratische Grundsatzfrage.
Das EATC ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer gemeinsamen europäischen Armee. Wer diese will, spricht sich damit klar für einen Abschied von der Parlamentsarmee aus. Die Bundeswehr im Einsatz ist bereits heute, mit den noch existierenden Möglichkeit der Parlamentsbeteiligung, kaum zu kontrollieren. Doch je mehr eine europäische Armee Realität wird, umso stärker werden auch noch die letzten Kontrollmöglichkeiten verschwinden.
Die Tatsache, dass Bundeswehrangehörige im Rahmen des EATC umfangreiche Kriegsunterstützung geleistet haben, ohne öffentliche Debatte darüber, ohne Entscheidung des Parlaments und ohne vorherige Information des Parlamentes – das alles ist ein erster Vorgeschmack auf weitere Entwicklungen.
Quelle: IMI-Online, Informationsstelle Militarisierung e.V.