Nach einer Massenverhaftung am Rande einer Demonstration in Rio de Janeiro am Dienstagabend hat der Professor der privaten Hochschule Fundação Getúlio Vargas (FGV), Rafael Alcadipani, scharfe Kritik an den lokalen Sicherheitskräften geäußert. Die Polizei des Staates von Rio de Janeiro habe sich laut Alcadipani zu einer „politischen Polizei“ entwickelt.
Anlass der Kritik war das Vorgehen der Polizei am vergangenen Dienstag gegen eine am „Tag der Lehrer“ von der Lehrergewerkschaft Sepe organisierte Demonstration, in deren Verlauf über 200 Demonstranten festgenommen wurden. Immer noch sitzen über 40 Personen in Untersuchungshaft. Ihnen wird unter anderem die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Dabei wird von einem neuen Gesetz zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität Gebrauch gemacht.
Entgegen den Anschuldigungen der Polizei und großer Teile der bürgerlichen Medien spricht Alcadipani von wahllosen Verhaftungen und konstruierten Beziehungen der Verhafteten untereinander. Auch vergleicht er die Ereignisse in Rio de Janeiro mit der Zeit des faschistischen Estado Novos – der Diktatur des Getúlio Dornelles Vargas von 1930 bis 1945 – und der Militärdiktatur: „Mit dem extrem brutalen Einsatz der Polizei von Rio de Janeiro und der Festnahme von unabhängigen Reportern scheint es leider, als ob Rio de Janeiro in einer Art Ausnahmezustand ist. Dies ist sehr ernst und bereits zur Zeit der Militärdiktatur passiert. Auch ist dies sehr beunruhigend, da die Regierenden nicht zum Dialog aufrufen“.
Linke Gruppen fordern die Freilassung der politischen Gefangenen und ein Ende der medialen Diffamierung der Demonstranten. So berichteten konservative Medien einseitig über die Demonstrationen und die Tageszeitung O Globo titelte auf ihrer Donnerstagsausgabe: „Härteres Gesetz bringt 70 Randalierer ins Gefängnis von Rio de Janeiro“.

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Vor allem der seit Monaten auf den Demonstrationen in Rio de Janeiro zu sehende Schwarze Block ist Medien und Politik ein Gräuel. In dem selbsternannten Black Bloc traten die meist jungen Leute schwarz gekleidet und maskiert auch im Zentrum Rios auf. Für die Politik und Presse ist die Sache klar: Es handele sich um „Banderneiros“, Krawallchaoten also. Um ihrer Habhaft zu werden, hat die Regierung nun ein Gesetz verabschiedet, das das Tragen von Masken verbietet. „Frei ist die Meinungsäußerung“, heißt es in dem neuen Gesetzestext, aber „Anonymität ist untersagt“. Dem neuen Gesetz zufolge beträfe dieses Vermummungsverbot nicht kulturelle Veranstaltungen, aber – so wird umgehend einschränkend ausgeführt – dies gelte nur für die im offiziellen Veranstaltungskalender des Bundesstaats registrierten Kultur-Events, wie dem Karneval.
Der von den beiden Abgeordneten der rechtsgerichteten Partei PMDB, Domingos Brazão und Paulo Melo, eingebrachte Gesetzestext wurde im September vom Abgeordnetenhaus des Bundesstaats Rio de Janeiro verabschiedet und von Gouverneur Cabral unterzeichnet. Wer vermummt auf eine Demonstration kommt, kann zur Feststellung der Personalien festgehalten werden. Wer sich weigert, wird auf die Polizeiwache mitgenommen und dort identifiziert. Der Gesetzestext verlangt auch, dass politische Demonstrationen ab jetzt polizeilich angemeldet werden müssen, bei einer Frist von mindestens 48 Stunden vor Beginn des Aufzugs, entweder bei der zuständigen Polizeiwache oder per Internet. Anders als in Deutschland ist dies in Lateinamerika bislang nicht üblich.