Neuer Fall sexualisierter Gewalt im Gebirgsjägerbataillon Bad Reichenhall.
Erst im Januar waren sexualisierte und andere Gewaltrituale in einer Ausbildungskaserne der Bundeswehr im baden-württembergischen Pfullendorf bekannt geworden. Am Montag abend informierte das Bundesverteidigungsministerium den Bundestag über weitere Vorfälle, die sich in der vierten Kompanie des Gebirgsjägerbataillons 231 im bayerischen Bad Reichenhall abgespielt haben sollen. Darüber berichteten am Dienstag zuerst die Süddeutsche Zeitung und der Bayerische Rundfunk. Ein Obergefreiter der Gebirgsjäger soll der Mitteilung aus dem Ministerium zufolge nach eigenen Angaben zwischen November 2015 und September 2016, also zehn Monate lang, »durch Mannschaftssoldaten und einige Vorgesetzte (Ausbilder) seines Zuges mehrmals diskriminiert und tätlich sexuell belästigt und genötigt worden« sein. Bereits am 5. Oktober 2016 hatte sich der Soldat demnach an den Wehrbeauftragten des Bundestages gewandt. Zu diesem Zeitpunkt weilte er zu einem »Truppenpraktikum« im niedersächsischen Wunstorf – und sollte nun die Rückkehr in seine Stammeinheit antreten, was er fürchtete.
Das Ministerium nannte die Vorfälle »inhaltlich äußerst bedauerlich und vollkommen inakzeptabel«. Sie beträfen aber im Gegensatz zu Pfullendorf nur eine Teileinheit, zudem hätten die verantwortlichen Kommandeure »umsichtig und konsequent reagiert«. Dem Schreiben von Verteidigungsstaatssekretär Markus Grübel (CDU) zufolge wird gegen zwei Feldwebel, zwei weitere Unteroffiziere und zehn Mannschaftssoldaten ermittelt. Der direkte militärische Vorgesetzte des Opfers sei aus seiner Funktion »herausgelöst«, der Betroffene selbst versetzt worden. Gegenüber der Süddeutschen Zeitung erklärte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums, bei dem Bad Reichenhaller Fall handle es sich um einen von vielen aus der Vergangenheit, die gerade aufgearbeitet würden, um »strukturelle Verbesserungen« zu erreichen. Die zuständige Staatsanwaltschaft in Traunstein, die seit kurzem offiziell in dem Fall ermittelt, wollte sich am Dienstag noch nicht zu Details äußern. Ihr Sprecher Björn Pfeifer kündigte eine Erklärung zu einem späteren Zeitpunkt an.
Die Linke-Bundestagsabgeordnete Christine Buchholz erklärte am Dienstag, die Übergriffe offenbarten ein »systemisches Problem«. Die Zahl der beim Wehrbeauftragten gemeldeten sexuellen Belästigungen sei 2016 gegenüber dem Vorjahr um 50 Prozent gestiegen. Das Bataillon in Reichenhall mache zudem nicht zum ersten Mal »Negativschlagzeilen«, meinte Buchholz. In der Tat sind die Gebirgsjäger für widerliche Aufnahmerituale berüchtigt. Zudem sorgen sie immer wieder wegen ihres seltsamen Verständnisses von Traditionspflege und ihres ungebrochenen Verhältnisses zur faschistischen Wehrmacht für Aufsehen. Die Gebirgsjäger waren im Zweiten Weltkrieg an Kriegsverbrechen in Italien und Griechenland beteiligt, bei denen jeweils Hunderte Zivilisten ermordet wurden.
Unterdessen hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) am Dienstag zu einem anderen Fall Stellung genommen. In einem am Dienstag auf der Webseite ihres Hauses veröffentlichten offenen Brief kritisierte sie die Begründung, mit der die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen sexueller Belästigung einer Soldatin eingestellt hat, als »inakzeptabel«. Die Ministerin wurde von einer militärischen Gleichstellungsbeauftragten auf den Fall hingewiesen. Dem Brief von der Leyens zufolge schrieb die Staatsanwältin der Soldatin, die Anzeige erstattet hatte: »Bei dem von Ihnen beschriebenen ›Imponiergehabe‹ des Beschuldigten (Posen, Muskelspiel, Aufforderung zum Sex, Griff an das Gesäß) ist jedoch nach allgemeinem (vorwiegend männlichem) Verständnis davon auszugehen, dass der Beschuldigte sein ›Interesse‹ an Ihnen damit kundtun, und nicht, dass er Sie beleidigen wollte.« Von der Leyen nennt diese Interpretation »abenteuerlich und aus der Zeit gefallen«. Sie zerstöre das Vertrauen von Opfern sexueller Übergriffe, an übergeordneter Stelle Verständnis und Schutz zu finden. Mit Blick auf die Bundeswehr selbst betonte die Ministerin, der Fall sei ein »grober Verstoß gegen die Pflicht zur Kameradschaft«. Um ein Zeichen gegen solche Vorkommnisse zu setzen, habe ihr Haus eine Ansprechstelle »Diskriminierung und Gewalt in der Bundeswehr« eingerichtet, teilte von der Leyen mit.
Quelle – Junge Welt
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