Aus: Junge Welt Ausgabe vom 14.09.2020, Seite 3 / Schwerpunkt Säbelrasseln
Spannungen im Levantischen Meer spitzen sich bedrohlich zu. Aufrüstung von Griechenlands Militär kostet zehn Milliarden Euro Von Jörg Kronauer Neue Aufrüstungspläne, neue Kriegsübungen, immer mehr Staaten mischen sich ein, und verschiedene Konflikte verschränken sich zunehmend: Die Spannungen im östlichen Mittelmeer spitzen sich weiterhin bedrohlich zu. Kern ist nach wie vor der Territorialkonflikt zwischen Griechenland und der Türkei; den meisten Beteiligten geht es jedoch um viel mehr.
Griechenlands Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis hat am Wochenende die jüngsten Aufrüstungspläne seiner Regierung konkretisiert. Athen begründet sie mit der Absicht, sich gegen etwaige türkische Aggressionen wappnen zu wollen. Mitsotakis gab am Sonnabend in Thessaloniki bekannt, Griechenland werde 18 französische »Rafale«-Kampfjets erwerben, um seine alternde »Mirage 2000«-Flotte zu ersetzen. Zugleich wolle es jedoch auch seine Seestreitkräfte stärken, dazu sollen vier Fregatten gekauft und vier bereits vorhandene Fregatten der Werft Blohm & Voss modernisiert werden. Beschaffen will Athen zudem vier Helikopter des US-Herstellers Sikorsky, Torpedos für seine Marine, Lenkraketen für die Luftwaffe und Panzerabwehrraketen für das Heer. Die Kosten dürften sich Berichten zufolge auf zehn Milliarden Euro belaufen – angesichts der Coronakrise, die die ohnehin stark angespannte Wirtschaftslage in Griechenland weiter verschärft, eine bemerkenswerte Summe. Darüber hinaus sollen die Streitkräfte deutlich vergrößert werden. Mitsotakis kündigte am Sonnabend eine Aufstockung um 15.000 Soldaten an.
Gleichzeitig dauern die Manöver im östlichen Mittelmeer an. Am Freitag gab die Türkei bekannt, ihre Marine werde bis zum heutigen Montag Schießübungen in den Gewässern zwischen der türkischen Küste und Nordzypern abhalten. Die Übung relativierte die vorsichtige Hoffnung auf Entspannung, die am Wochenende kurz aufflackerte, als Ankara sein Forschungsschiff »Oruç Reis«, das zuletzt in von Griechenland beanspruchten Gewässern operiert hatte, in Richtung Antalya zurückzog. Das sei »ein positives Signal«, urteilte am Sonntag ein griechischer Regierungssprecher. Allerdings beginnen sich, was die Manöver angeht, mittlerweile der griechisch-türkische Territorialkonflikt im Levantischen Meer sowie der Libyenkrieg zu verschränken. Die türkische Marine teilte am Freitag mit, sie habe militärische Übungen nun auch vor der Küste Libyens durchgeführt. Griechenland wiederum hatte Ende August berichtet, es habe eine Luftkriegsübung gemeinsam mit den Vereinigten Arabischen Emiraten gestartet, die dazu neun F-16-Kampfjets sowie vier Transportflugzeuge nach Kreta verlegt hätten. Die Emirate und die Türkei rüsten in Libyen feindliche Kriegsparteien auf. Sie rivalisieren außerdem in anderen Regionen in Nah- und Mittelost: Ankaras häufig als »neoosmanisch« bezeichnete Expansionspolitik kollidiert dort mit gleichfalls expansiven Vorstößen Abu Dhabis.
Am Wochenende haben sich außerdem die Vereinigten Staaten vor Ort zu Wort gemeldet. Außenminister Michael Pompeo traf am Sonnabend zu einem Blitzbesuch von knapp zwei Stunden in Zypern ein, um auf eine diplomatische Lösung des Konflikts zu dringen. Pompeo reagierte damit auf Gespräche, die sein russischer Amtskollege Sergej Lawrow vergangene Woche in Nikosia geführt hatte. Lawrow hatte dabei seinerseits angeboten, Moskau könne im Machtkampf mit der Türkei vermitteln. Die US-amerikanisch-russische Rivalität in Zypern beschränkt sich dabei nicht auf den Konflikt mit der Türkei. Russland hatte bereits 2015 ein Abkommen mit Zypern geschlossen, das die Nutzung zyprischer Häfen durch russische Marineschiffe erlaubt; das stärkt die russische Position nicht zuletzt mit Blick auf das nahe gelegene Syrien. Der US-Kongress wiederum hat im vergangenen Jahr das Waffenembargo gegen Zypern teilweise aufgehoben und Trainingsmaßnahmen für zyprische Militärs zugesagt – in klarer Erwartung, damit den russischen Einfluss auf der östlichen Mittelmeerinsel zurückdrängen zu können.
Selbstverständlich steigern auch die führenden EU-Mächte ihre Einflussaktivitäten im östlichen Mittelmeer. Frankreich hat in der vergangenen Woche ein Treffen von sieben südlichen EU-Staaten (Euromed 7) genutzt, um den Druck auf die Türkei zu verstärken. Ziel ist es, auf dem EU-Gipfel in zehn Tagen Sanktionen gegen Ankara zu beschließen. Paris stößt nicht nur bei seinen Bemühungen um eine stärkere Präsenz im östlichen Mittelmeer auf das expandierende Ankara, sondern auch bei seinen aktuellen Bestrebungen, seine Stellung im Nahen und Mittleren Osten erneut zu stärken. Deutschland wiederum bremst: Es hat – aus geostrategischen Gründen, aber auch zur Flüchtlingsabwehr – Interesse an einer gewissen Kooperation mit der Türkei und ist wenig geneigt, dem Rivalen Frankreich im östlichen Mittelmeer den Vortritt zu lassen. Mitte vergangener Woche hat die Fregatte Hamburg im Rahmen der EU-Operation »Irini« im Mittelmeer einen Tanker gestoppt, der – mutmaßlich unter Bruch des UN-Embargos – Treibstoff nach Libyen liefern sollte. Das Schiff hatte Kurs auf Ostlibyen genommen, das der Warlord Khalifa Haftar kontrolliert; es war in den Vereinigten Arabischen Emiraten beladen worden, die Haftar unterstützen. In Ankara, das Haftars Gegner aufrüstet, wird die deutsche Maßnahme auf erfreuten Beifall gestoßen sein.
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