Erschienen am Autor*in: Leila Aadil
Du hast in einem Interview gesagt, dass es spontanen Aufständen, so wie den Black Lives Matter Protesten, an Organisation fehlt und sie deshalb aus ihrer gegenwärtigen Lage heraus nicht im Stande sind Rassismus, Kapitalismus und white supremacy wirklich anzugehen. Kannst du erklären warum du das denkst und was stattdessen die benötigte organisatorische Antwort wäre?
Spontane Aufstände haben nur eine begrenzte Auswirkung. Der wichtigste Aspekt der Spontanität als politische Reaktion ist, dass es Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt und auf Grund von einem bestimmten Thema mobilisiert und zusammen bringt. Aber es fehlt an Dauerhaftigkeit. Sie kann sehr einfach vereinnahmt und fehlgeleitet werden, besonders über lange Zeiträume hinweg. Nur Organisation verwandelt spontane Aufstände in einen anhaltenden Kampf. In der Organisation geht es darum sich auf jene Themen zu fokussieren, die die Menschen auf die Straße gebracht haben um sie dann nach dem Prinzip der Verbundenheit zu organisieren. Wir sehen durch Black Lives Matter, wie schnell spontane Proteste von den Herrschenden vereinnahmt und so ihres transformativen Potentials beraubt werden können. Organisation ist wichtig um Massenmobilisierung zu verstetigen und Anführer*innen des Kampfes, die sich aus den Massen der betroffenen Menschen rekrutieren, zu etablieren. Es ist also auch eine wichtige Übung in Demokratie. Diese Anführer*innen sind die Kraft, die in der Lage ist die Bedürfnisse der Menschen deutlich zu formulieren und dafür einzustehen. Der Nachteil daran ist natürlich, dass die Repression diese Anführer*innen und die Organisationen in ihren Fokus nimmt. Aber das überwiegt nicht die Tatsache, dass nur organisierte Bewegungen in der Lage sind bedeutende Veränderungen herbeizuführen.
Während der jüngsten Welle anti-rassistischer Proteste wurden Slogans wie „Defund the Police“ (Der Polizei die Finanzierung entziehen) und „Abolish the police“ (Polizei abschaffen) wieder populär gemacht. Als Black Panther Partei habt ihr damals die Kontrolle und Leitung der Polizei durch die Community gefordert, wie genau sieht das in der Praxis aus?
Der Polizei die Finanzierung zu entziehen und die Kontrolle und Leitung der Polizei durch die Community zu fordern stehen nicht im Widerspruch zu einander. Aber ich glaube, dass man sich mit der Organisierung des Staates auseinandersetzen muss.
Der Polizei die Finanzierung zu entziehen kam vor kurzem durch die Black Lives Matter Proteste auf. Kriminalität zu unterbinden wird als Vorwand benutzt um die Militarisierung der Strafverfolgungsbehörden zu rechtfertigen. Die Aktivist*innen glauben, dass das Geld das verwendet wird um die Polizei militärisch zu organisieren und auszustatten, besser verwendet werden sollte um die sozialen Auswirkungen von gesellschaftlicher Ungleichheit zu bekämpfen. StrafverfLower Class Magazineolg soll also neu gedacht werden, und zwar in dem man Kriminalität als Konsequenz von Armut, Marginalisierung und Diskriminierung wahrnimmt. Es sind meistens die armen und marginalisierten Communities in denen Kriminalität als grassierend wahrgenommen wird.
In den meisten städtischen Gebieten, sogar hier in Deutschland, sehen die Polizisten aus wie Soldaten im Auslandseinsatz. Sie tragen ähnliche Uniformen und wenden ähnliche Taktiken an, haben spezielle Waffen. Diese Militarisierung der Polizei ist da um die Menschenmassen unter Kontrolle zu behalten, um Eigentum zu schützen und Protest zu kontrollieren. Deswegen müssen wir die Polizei demilitarisieren und den Menschen und den Communities gegenüber rechenschaftspflichtig machen zu können, nicht nur gegenüber Unternehmen und Menschen mit Eigentum.
Hinzu kommt also auch die Dezentralisierung der Polizei, was bedeutet die Befehls- und Kontrollstruktur der Polizei zu verändern und sie im Sinne der Menschen und als Teil der generellen öffentlichen Sicherheit zu gestalten. Dazu gehört zum Beispiel auch allgemeine Gesundheitsversorgung, Verkehrswesen und so weiter. Es bedeutet, dass die Polizei unter Kontrolle der Menschen und Communities auf lokaler Ebene stehen sollte, nicht unter der des Staates und des Kapitals.
Die BPP war eine Organisation nur für Schwarze Menschen, die allerdings Bündnisse mit revolutionären Organisationen von Menschen anderer Herkunft einging, unter anderem auch mit weißen. Anlehnend an der Erfahrung der BPP und auf den heutigen politischen Kontext in Europa angewandt, glaubst du, dass Migrant*innen, People of Color, Schwarze Menschen ihre eigenen Organisationen entlang von ethnischen Linien brauchen und dann Bündnisse mit anderen eingehen sollten, oder aber brauchen wir von Anfang an gemischte Organisationen in denen Menschen verschiedener Herkunft vertreten sind?
Das was die BPP in ihrem historischen Moment ausmachte war, meiner Meinung nach, dass wir eine Kaderorganisation waren. Wir waren die einzige Schwarze Kaderorganisation die keine messianische Bewegung wie die Nation of Islam war, also auf Theologie aufgebaut war. Wir waren auch keine Schwarze Nationalistische Organisation, die sich nur mit den Problemen von schwarzen Menschen befasste.
Wir hatten verstanden, dass die Schwarze Community einen großen Anteil an Lumpenproletariern hat. Wir hatte uns ein Verständnis von Lumpenproletarismus erarbeitet, weil wir die Analyse des dialektischen Materialismus im kapitalistischen Konstrukt verstanden haben. White supremacy ist ein soziales und politisches Konstrukt das seine ökonomische Macht, natürlich, aus dem Kapitalismus zieht. Es beabsichtigt außerdem die Arbeiter*innenklasse von People of Color zu spalten.
Europäer verstehen nur schwer, dass die Schwarze Arbeiter*innenklasse in den USA durch die Sklaverei entstanden ist. Als die Sklaverei abgeschafft wurde, war die Schwarze Arbeiter*innenklasse, in vielen Aspekten, keine typische Arbeiter*innenklasse. Es war eine fast permanent arbeitslose Klasse. Schwarze Menschen waren anfangs aus Gewerkschaften ausgeschlossen. Die große Migration aus den Südstaaten in den Norden, und der damit einhergehende Urbanisierungsprozess, schuf die Ghettos in den städtischen Gebieten. Dort gab es schlechtere Bildung, wenig ökonomische Unterstützung und wenig Arbeit. Dieser Prozess hat in den industrialisierten städtischen Gebieten eine Überschussklasse erschaffen, die Marx als Lumpenproletariat beschrieben hat und die es während Jim Crow und der Sklaverei nicht gegeben hat. Es waren die Schwarzen Lumpen die auf der Straße waren und Backsteine auf Polizisten geworfen haben. Sie waren die ersten die rebellierten und spontane Aufstände anzettelten. Sie waren die, die lieber ihrem Chef ins Gesicht boxen anstatt zu gehorchen. Der Klassenkampf, der aus dieser Analyse entstand, war sehr wichtig für die Ideologie der Panthers und ihrer Wahrnehmung davon, wie die Revolution in Amerika voran gebracht werden sollte.
Zuletzt, die Ermächtigung arbeitender Menschen, die Ermächtigung schwarzer Menschen und das Abschaffen von white supremacy als soziales und politisches Konstrukt konnte nicht ohne Bündnisse mit der weißen Mehrheitsgesellschaft erreicht werden, der weißen Arbeiter*klasse. Die weißen Arbeiter*innen mussten ein Bewusstsein von sich selbst als revolutionäre Klasse entwickeln, etwas das sie nicht hatten. Die weiße amerikanische Arbeiter*klasse war als Klasse nie revolutionär, auch wenn sie ihre Momente hatte. Diese ganzen Dynamiken führten dazu, dass wir als BPP all jene als unsere natürlichen Verbündeten ansahen, die zur Arbeiter*innenklasse gehörten und gegen die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse der Produktionsmittel und der Ausbeutung von überschüssiger Arbeitskraft waren. Wir hatten diese Analyse und das war es, was uns von anderen Organisationen unterschied. Deswegen stellten sich auch die Schwarzen Nationalistischen Rechten gegen uns, immer wenn wir versuchten Schwarz-weiße Bündnisse zu mobilisieren. Die selben Leute, die dann auch von der Regierung gegen uns benutzt wurden.
Wir hatten allerdings auch viele Widersprüche mit der Kommunistischen Partei der USA, die zusammen mit der Linken auch Opfer von white supremacy waren. Rassismus hat immer sein hässliches Gesicht innerhalb der Linken gezeigt, innerhalb von Gewerkschaften gegen Schwarze Arbeiter*innen. Deswegen war es auch für Schwarze Arbeiter*innen wichtig sich selbst zu organisieren und das bringt mich zum letzten Punkt.
Ich glaube, dass Migrant*innen sich selbst organisieren müssen, und zwar an Hand ihrer eigenen spezifischen Situation in den Metropolen. Gleichzeitig müssen sie verstehen, dass radikaler Wandel, revolutionärer Umschwung, die Abschaffung von Ethno-Zentrismus und white supremacy verlangen, sich prinzipiell mit anderen Organisationen in der weißen Bewegung zusammenzuschließen um die Klassenunterdrücker von allen anzugehen. Rassismus und white supremacy sind nur zum Vorteil der herrschenden Klasse, niemals zum Vorteil der Arbeiter*innenklasse. Leider sehen das die meisten weißen Arbeiter*innen nicht so.
Ich höre in Deutschland oft, dass der revolutionäre Kampf innerhalb der imperialistischen Zentren unmöglich ist und, dass Organisierung innerhalb der imperialistischen Zentren ausschließlich aus Solidaritätsarbeit bestehen sollte, die revolutionäre Kampfe im globalen Süden unterstützt. Was ist deine Position dazu?
Ich glaube da steckt viel Wahres drin. Der moderne nationale Sicherheitsstaat hat ein Gewalt- und Machtmonopol. Aber er kann dieses nur mit Zwang durchsetzen. Eine Macht, die auf physischem Zwang beruht, wird irgendwann zu bröckeln beginnen. Sie braucht eine moralische und ethische Rechtfertigung, sodass Menschen sich ihr beugen. Wir haben nach der industriellen Revolution gesehen, dass Arbeiter*innen in den Metropolen tatsächlich des Paradigma der Macht in Sachen Klasse verändern können. Es war schließlich Marx der gesagt hat, dass die einzige revolutionäre Klasse die Arbeiter*innenklasse ist, weil alles andere von ihr abhängt. Nichtsdestotrotz, und ich würde empfehlen George Jackson zu dieser Frage zu lesen, stimmt es, dass die weiße Arbeiter*innenklasse in den Metropolen zum größten Teil reaktionär ist. Sie hat den Imperialismus unterstützt. Ihre Privilegien und ihr Lifestyle sind, in vielerlei Hinsicht, abhängig von der Ausbeutung des globalen Süden und dem Nationalstaat der dieses Paradigma der Ausbeutung aufrecht erhält. Trotzdem glaube ich, dass es ein revolutionäres Potential gibt, wenn People of Color und die weiße Arbeiter*innenklasse in den Metropolen sich zusammentun.
Ich glaube allerdings, dass das wichtigste für diese Generation, innerhalb der globalen Krise des Kapitalismus und der Finanzwelt ist, dass wir uns über Grenzen hinweg zusammentun und verstehen, dass wir heutzutage alle Weltbürger*innen sind. Das ist was die Imperialmächte und die Technologie aus uns gemacht haben und ich glaube wir sollten das nutzen und uns auf dieser Ebene organisieren. Das würde die Macht der nationalen Sicherheitsapparate bedeutend einschränken. Wir haben eine globale Wirtschaft und wir brauchen eine globale multi-ethnische Arbeiter*innen Massenbewegung über Grenzen hinweg.
Zuvor waren die herrschenden Eliten, die Finanzkapitalist*innen in jeder einzelnen Nation, Nationalisten. Sie haben an sich selbst zuerst gedacht und an den Wohlstand der eignen Nation. Aber das hat sich verändert. Wir haben heute eine globale Elite und die Zusammenarbeit von Kapitalist*innen auf der ganzen Welt. Man sieht das ja bei Konferenzen wie der in Davos jedes Jahr, wo sich alle Politiker*innen und Konzernbosse jedes Jahr treffen um zu diskutieren was sie als nächstes tun. Die sind organisiert und wir sind es nicht. Sie verstehen das Paradigma, dass wir in einer globalen Wirtschaft leben. Wir brauchen eine globale Bewegung.
#Titelbild: Dhoruba bin Wahad bei seinem Vortrag in Berlin am 03.10.2020, Migrantifa Berlin
Quelle: Lower Class Magazine