In der jungen Welt erschienen am 19.5.2021
Von Ulla Jelpke
Marokko verweigert Dienst als Türsteher der EU. Tausende Menschen gelangen in spanische Exklave Ceuta. Madrid schickt Polizei und Armee
 
Tausende Flüchtlinge sind in den vergangenen beiden Tagen in die von marokkanischem Territorium umschlossene spanische Exklave Ceuta gelangt. Normalerweise verhindern marokkanische Polizisten jegliche Annäherung an den Grenzzaun – seit Montag haben sie diesen Dienst faktisch eingestellt. Zum Teil schwimmend, zum Teil bei Ebbe auch zu Fuß kamen bis jW-Redaktionsschluss mehr als 6.000 Menschen nach Ceuta, mindestens einer ertrank. Die Regierung in Madrid schickte am Dienstag 200 Beamte aus Polizei und paramilitärischer Guardia Civil nach Nordafrika und setzte auch das Militär in Marsch.
Videos im Internet zeigen gepanzerte Fahrzeuge am Strand von Ceuta, kreisende Hubschrauber und Polizisten, die Ankommenden festsetzen, um sie in ein Stadion zu bringen. Von dort aus wird ihre schnellstmögliche Abschiebung betrieben. Am Vormittag sagte der spanische Innenminister Fernando Grande-Marlaska, es seien bereits 2.700 Personen nach Marokko zurückgeschickt worden. Mit der Prüfung von Asylanträgen hält sich Spanien offenbar nicht auf. Viele Abgeschobene konnten aber mangels Kontrollen umgehend wieder entlang der Küstenlinie nach Ceuta zurückkehren. Die Tageszeitung El Faro de Ceuta sprach von einer »unendlichen Schlange von Personen«, die auf dem Weg in die Exklave seien.
Rund ein Viertel der Schutzsuchenden sind Minderjährige. Grande-Marlaska sicherte zu, deren Rechte zu respektieren. Bis zur Feststellung ihres Alters werden sie in einem völlig überfüllten Lager untergebracht. Das Rote Kreuz von Ceuta erklärte bereits, es sei heillos überfordert. Die Lage drohte am Dienstag nachmittag zu eskalieren: Innerhalb des Stadtgebietes gab es Auseinandersetzungen zwischen Marokkanern und der Polizei. Entlang des Grenzzauns schossen spanische Polizisten mit Tränengas auf die Menschen, die wiederum Steine warfen. El Faro de Ceuta veröffentlichte ein Video, das zeigt, wie spanische Uniformierte mit Schlagstöcken Männer von einer Mole ins Meer zurückprügeln. Das Gros der Migranten besteht bislang aus marokkanischen Staatsbürgern. Spanische Medien wiesen aber darauf hin, dass subsaharische Flüchtlinge, die in Marokko ausharren, auf dem Weg nach Ceuta seien, um das Schlupfloch zu nutzen.

Das Wegsehen der marokkanischen Polizei deuten spanische Medien als Zeichen der Verärgerung darüber, dass Spanien dem Anführer der sahrauischen Befreiungsfront Polisario, Brahim Ghali, im April die Aufnahme in ein spanisches Krankenhaus gestattet hatte, um eine Covid-Erkrankung zu behandeln. Die Polisario kämpft für die Unabhängigkeit der früheren spanischen Kolonie Westsahara, die Marokko seit Jahrzehnten besetzt hält.
Die Behandlung Ghalis sei eine rein humanitäre Entscheidung, erklärte das spanische Außenministerium – Marokko sieht das jedoch als politischen Affront. Auffällig ist, dass die zweite spanische Exklave in Marokko, Melilla, am Dienstag, wie gewohnt, von marokkanischen Polizisten abgeschirmt wurde. Offenbar will die Führung in Rabat ihrem spanischen Partner demon­strieren, dass der Posten als Türsteher Europas keine Selbstverständlichkeit ist, sondern seinen Preis hat – der türkische Despot Recep Tayyip Erdogan macht vor, dass in Sachen »Flüchtlingsabwehr« lukrative Deals möglich sind. Der Zeitung El Confidencial zufolge hat die spanische Regierung bereits ein millionenschweres »Hilfspaket« für Rabat auf den Weg gebracht, um dort die Kooperationsbereitschaft wiederherzustellen.
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