Auswertung vom NOIMK Bündnis Stuttgart:

Die Innenminister:innenkonferenz hat in Stuttgart Anfang Dezember ihr Ende gefunden und auch der Vorsitz wird 2022 an ein anderes Bundesland weitergegeben. Wir wollen diese Gelegenheit nutzen einige der dort beschlossenen Punkte aufzugreifen und einzuordnen. Klar ist jedoch, dass die wirklich relevanten Fragestellungen mit dem Hinweis- „VS – Nur für den Dienstgebrauch“ – nicht öffentlich verhandelt werden. Trotzdem wollen wir einige Tendenzen herausarbeiten, die auf relevante Entwicklungen der deutschen Innenpolitik hinweisen.

 

Das „Nationale Krisenkommando“: Ein Staat im Krieg gegen die Krise?

Im Anschluss an die IMK in Rust Juni 2021 wurde auf der IMK in Stuttgart die Aufhebung der Trennung zwischen Zivil- und Katastrophenschutz weiter vorangetrieben und Kompetenzen werden perspektivisch bei dem bald neu eingerichteten „Gemeinsamen Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz“ gebündelt bzw. koordiniert.

Ausgehend von der Corona-Pandemie und der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen wird beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) eine neue „Kooperationsplattform“ geschaffen. Dass es hierbei nicht unbedingt ausschließlich um eine bessere Bewältigung von Naturkatastrophen geht, zeigt sich wohl schon an der Forderung nach einem „Nationalen Krisenkommando“ durch den Innenminister Niedersachsens Pistorius.

Diese militärische Rhetorik schließt damit durchaus an einen konstruierten Widerspruch zwischen dem „Wir“ (deutschen Bevölkerung) gegen den Corona Virus. Dass es sich bei Naturkatastrophen oder Pandemien um komplexe Ereignisse handelt, deren Entstehung und Bewältigung im Wesentlichen von den ökonomischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen abhängt, wird damit ausgeblendet. Gegen soziale Ungleichheit, unterschiedliche Zugänge zu Krankenversorgung und Patente auf medizinische Güter und Impfstoffe kann man schließlich nicht mobil machen.

Während es bisher eine eher striktere Trennung der Zuständigkeit für den Katastrophen- und Bevölkerungsschutz in „Friedenszeiten“ (Länder und Kommunen) und „Kriegszeiten“ (Bund) gab, wird diese zunehmend aufgeweicht und in Frage gestellt. Die Rechtfertigung eines „Einsatzes der Bundeswehr im Inneren“ angesichts der Corona-Pandemie mit einer vermeintlichen Notwendigkeit, war hier wohl nur eine kleine Aussicht auf zukünftige Entwicklungen.

Strobel, Vorsitzender der IMK und Innenminister von Baden-Würrtemberg, redete von einem „Krisenradargerät“ und der Leiter des BBK schwärmte von der Geschwindigkeit der Einrichtung des neuen Kompetenzzentrums. Im Vergleich zu anderen Kooperationen zwischen Bund und Ländern sei diese „in einer wirklich unglaublichen Geschwindigkeit“ umgesetzt worden. Ob er hier das zum Vergleich herangezogene gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum nur zufällig nennt, sei mal dahingestellt.

Unabhängig vom beabsichtigten Zweck des neuen Kompetenzzentrums steht seine Einrichtung in einem Kontext von autoritärer werdenden Maßnahmen der Bundesrepublik. Es geht hier nicht um die Entwicklung einer solidarischen und kollektiv getragenen Krisenbewältigung.

Hasskriminalität: Deutsche Innenministerien als Schutzmacht der Diskriminierten und Unterdrückten?

Mit der Veröffentlichung der „Stuttgarter Erklärung gegen Hass und Hetze“ inszeniert sich die IMK als Verteidigerin einer „offene[n], tolerante[n] und vielfältige[n]“ Gesellschaft. Zusammengefasst liest sich die Erklärung überwiegend wie der Aufruf eines „Bunt statt Braun“-Bündnisses einer beliebigen westdeutschen Kleinstadt zu Protesten gegen die nächste NPD-Kundgebung in den 2000er-Jahren. Soweit ist auch erst einmal nichts verwerflich an ihr, wenn man ihre Urheber:innen und deren Politik außer acht lässt.

Wofür die IMK steht:

  • Die Rechte, die die IMK scheinbar verteidigt und die medial hochgezogen werden, richten sich an diejenigen die innerhalb der Staatsgrenzen leben bzw. die „Staatsbürger:innen“. Gegen jene, die die Grenze noch nicht überquert haben, organisiert die gleiche IMK, die eine Stuttgarter Erklärung beschließt, ohne Skrupel verschärfte Abwehrmaßnahmen, kriminalisiert die Schutzsuchenden und blendet die menschenunwürdigen und rassistischen Verhältnisse an den europäischen Grenzen aus.
  • Es gibt keine strukturierte Aufklärung von rechten Netzwerken in Polizei- und Staatsorganen. Kein Wunder, wenn man sich die tiefgehenden Verstrickungen anschaut. Der NSU-Komplex ist bis heute nicht annähernd aufgeklärt und die Rolle diverser Verfassungsschutzämter darin ist – abgesehen von der Finanzierung faschisischer Strukturen und dem motivierten Schreddern von Akten – weitestgehend unklar. Ein ehemaliger Verfassungsschutzpräsident, der Hintergrundgespräche mit der AfD führt und im zweiten Weltkrieg einen Versuch Deutschland sieht die Welt zu rette. Rechte Chatgruppen und Netzwerke, die sich mit Leichensäcken und Löschkalk auf den großen Umsturz vorbereiten.
  • Weiterhin die zahlreichen durch Polizeigewalt ermordeten Menschen, die es aufgrund ihrer Hautfarbe, ihres sozialen Status oder des falschen Namens getroffen hat. Die Ursache hierfür ist Rassismus, der sich weit durch die Gesellschaft und auch durch seine konservativsten Teile – wie die Polizei – zieht. Mit Racial Profiling hat rassistische Polizeipraxis sogar einen eigenen Fachbegriff. Aufgeklärt werde diese Fälle so gut wie nie, denn in der Polizei kann man sich auf eisernes Schweigen, Vertuschen und einen stabilen Korpsgeist verlassen.

Auch wenn die IMK sich mit Texten wie der „Stuttgarter Erklärung“ eine tolerante und diverse Fassade geben möchte und sich dafür gewisses Vokabular aneignet, lässt sich feststellen, dass dies nur Inszenierung sein kann – und nicht etwa für eine Trendwende deutscher Innenpolitik steht.

Stuttgarter Erklärung oder doch Kontinuität deutscher Innenpolitik:
Repression gegen Geflüchtete

Wieder widmeten sich die deutschen Innenminister:innen ihrem Lieblingsthema: Migration oder viel eher wie man Migrant:innen davon abhält zu flüchten, über Grenzen zu kommen oder sie, wenn sie nicht von polnischen Grenzsoldat:innen und/oder Faschist:innen wieder zurückgeschoben werden, los wird.

Kontinuierlich wird darüber beraten, Asylgesetze zu verschärfen und so die Kriminalisierung geflüchteter Menschen voranzutreiben. Dieses Jahr wurden auf der IMK höhere Strafen für „Schleuser:innen“ beschlossen; diese sollen von drei auf sechs Monate erhöht werden.

Dabei ist interessant, wie die Schleuser:innen dargestellt werden: Kriminelle Banden, die die armen geflüchteten Menschen ausnutzen und ein enormen Profit damit machen. Finstere Gestalten, die sich am Leid anderer bereichern und keinerlei Skrupel kennen. Wie es um die sog. Grenzwache Frontex aussieht, deren Einheiten gezielt Schiffe angreifen, sei mal dahingestellt. In der Realität ist es oft so, dass nicht „irgendwelche Kriminellen“ als Schleuser:innen verurteilt werden. Meistens trifft es irgendjemanden, der den Lenker vom Motor des Schlauchbootes in die Hand gedrückt bekommen hat.

Wir aber finden es hierbei wichtig, auf die eigentlichen Gründe der Flucht zu schauen und die wirklichen kriminellen Geschäfte der imperialistischen Staaten in dem Kontext zu benennen; Wer führt Krieg in den Ländern, aus denen die Menschen fliehen? Wer liefert die Waffen, die dort gegen die Bevölkerung eingesetzt werden? Wer gibt Milliarden für die Hochrüstung, die so genannte „Grenzsicherung“ aus? Und wer pflegt enge Zusammenarbeit mit Despoten?
Es sind genau diejenigen, die Schleuser höher bestrafen wollen. Doch diese Kriminellen werden nicht verurteilt, sondern treffen sich auf Konferenzen und Tagungen.

Innenminister Strobel, der zur IMK 2021 einlud, hatte im Vorfeld schon kundgetan, dass ihm die Migrationspolitik der Ampelkoalition „zu grün“ ist und diese eine Einladung für alle Menschen aus „armen und konfliktreichen“ Ländern wäre, sich auf den Weg nach Deutschland zu machen. In vorweihnachtlicher Stimmung bemühte er sogar einen Teil aus dem Lied „Ihr Kinderlein kommet“. Um anschließend in einer Synagoge mit gedrückter Stimmung und staatstragender Ernsthaftigkeit darüber zu sinnieren, wie schlimm Hass und Hetze doch für das gesellschaftliche Leben sein. Die Stuttgarter Erklärung endet an den europäischen Außengrenzen.

Die von der deutschen Politik herangeführte Unterstellung, Menschen würden freiwillig, ohne jede existenzielle Zwänge ihre Heimat verlassen, ist dabei mehr als nur absurd. Betrachten wir nun aber „grüne“ Politik an den europäischen Außengrenzen, konkret an der belarussischen Grenze, zeigt sich eigentlich ein sehr klares Bild: sie fordern dort nicht Aufnahme, sondern Pushbacks, Sicherung der Grenzen und Grenzbefestigungsanlagen.

Diese Diffamierung von Geflüchteten, die vermeintlich in unser schönes Europa eindringen möchten und den Menschen alles wegnehmen wollen, bietet nicht nur Rechte eine weitere Grundlage für ihrer menschenverachtenden Propaganda, sondern verfestigt den Rassismus und einen zunehmenden Rechtsruck in der Gesellschaft. Wie die Stuttgarter Erklärung schon richtig erkannt wird öffnet „eine verrohte Sprache … Hass und Hetze Tür und Tor […]. [wir] wissen: Aus Worten können auch Taten werden.“

Wenn Geflüchtete zum Spielball der kapitalistischen Staaten werden, um ihre Interessen durchzusetzen, wie im Beispiel Lukaschenko oder die zivile Seenotrettung kriminalisiert wird, ist die Empörung groß in der deutschen Politik. Umso näher sie jedoch an die eigenen Grenzen kommt, umso schärfer und härter wird der Umgang mit geflüchteten Menschen. Darum ist es für uns wichtig sich gegen die rassistische Hetze und gegen die Kriminalisierung von geflüchteten Menschen einzusetzen, sich damit gegen die Politik der Herrschenden zu stellen und sich selbst zu organisieren.

Der rote Faden, der sich durch die Innenministerkonferenzen 2021 gezogen hat, war der Umgang mit Krisen. Mit Krisen meinen sie die Krisen, die das kapitalistische System mit sich bringt und das sie mit zu verantworten haben. Und wenn sie von Sicherheit sprechen, meinen sie nicht die Sicherheit zur Gewährleistung eines lebenswürdigen Lebens für alle Menschen, sondern meinen die Aufrechterhaltung und Sicherung des kapitalistischen System und ihrer Institutionen. Und wenn es eine progressive Bewegung gibt, die die vorherrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse in Frage stellt, dann soll Protest unterbunden und kriminalisiert werden. Ein Beispiel dafür ist die Klimagerechtigkeitsbewegung in NRW, die durch ihren entschlossenen und öffentlichkeitswirksamen Protest die Verantwortlichen von Klimakatastrophen und Umweltschäden benennt und auf die ausbeuterische Produktionsweisen im Kapitalismus hindeutet. Die Gesetzesverschärfungen des Versammlungsgesetz in NRW sind Resultat des Staates auf unliebsame Proteste.

Die IMK hat eine wichtige Bedeutung für den Staat, den dort können sich die Innenminister:innen abstimmen, sich koordinieren und so bundesweit eine gewisse Einheitlichkeit schaffen. Für uns bedeutet das, dass es mehr Verschärfungen,Überwachung und Aufrüstung gibt. Mehr Angriffe auf linke Politik und jene die in diesem System nicht verwertbar sind. Es ist wichtig die IMK als eine Konferenz zu begreifen, die nicht in unserem Sinne stattfindet. Die Repression daraus wird uns treffen, die einen mehr, die anderen weniger. Darum ist es wichtig, der Repression unsere Solidarität entgegen zu stellen.

Quelle: NoIMK Stuttgart Bündnis


0 Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Avatar-Platzhalter

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Visit Us On InstagramVisit Us On Facebook